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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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pisste dann in die brandneue Toilette, wie ein Hund, der sein Revier markiert.
    Ich holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank und genoss die Tatsache, dass ich es konnte. Dann ging ich rüber ins Schlafzimmer und ließ mich auf das große, weiße Bett fallen, das frisch und sauber roch. Ich hielt die Fernbedienung Richtung Breitbildfernseher und ein Schwarz-Weiß-Film flackerte auf. Kurz sah man Piccadilly Circus und ein Schild, auf dem
New Scotland Yard
stand. Ein Polizist sprach mit einer Frau, die eine überdimensionale Schleife am Kragen trug und einen dieser lächerlichen Hüte von damals.
    »Sie haben recht, Madame«
, sagte er mit der schnarrenden hohen Stimme, die sie in so alten Filmen immer hatten
. »Im Luftfahrtministerium arbeitet man an einer Sache, die für manche Leute interessant wäre. Aber sie sind absolut
sicher, dass keine Papiere fehlen, die für einen Spion von irgendwelchem Nutzen wären.«
    Ich lachte.
    Die nächste Szene spielte im Londoner Palladium, wo ein schmierig aussehender Typ mit Bleistiftschnurrbart zum Gedächtniskünstler auf der Bühne sagte:
»Los, antworten Sie! Was sind die Neununddreißig Stufen?«
Und das Superhirn verfiel in eine Art Trance und sagte:
»Die Neununddreißig Stufen? So nennt sich eine Spionageorganisation, die für eine gewisse ausländische Macht Informationen sammelt   …«
Dann erschoss ihn irgendein Bösewicht vom Balkon aus mit einer Spielzeugpistole.
    Ich trank mein Bier in kleinen Schlucken und amüsierte mich darüber, wie einfach es da doch ablief. Wie es ausging, bekam ich nicht mehr mit, denn als die altmodische Jazzmusik einsetzte, war ich schon unterwegs in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

II
Sophie
    Dreizehn
    Sophie Kelly zu finden war keine große Sache.
    Sie war von einer Gruppe Mädchen umringt. Gut aussehende Mädchen wie sie hängen normalerweise mit Schreckschrauben herum, die ihnen nicht die Schau stehlen. Aber die Mädchen um Sophie waren allesamt selbst nicht zu verachten: durch die Bank gut angezogen, mit teuren Haarschnitten und einem edlen Schimmer, den man in meiner Ecke von London selten zu sehen kriegte. Einzeln betrachtet wäre wohl jede von ihnen ein Treffer gewesen, aber im Rudel wirkten sie ein bisschen gewöhnlich im Vergleich zu Sophie. Sie war eine echte Blondine, während die anderen aufwendige Strähnchen oder glänzende braune Locken hatten. Sie war nicht klein   – mindestens eins fünfundsiebzig   – und auch nicht dünn. Ihre Figur war ziemlich altmodisch. Kurvig. Die anderen kamen in allen möglichen Formen und Größen daher. Es gab eine pampig aussehende indische Schönheit und ein sehr großes, ernst dreinblickendes schwarzes Mädchen, das ein Tennisprofi oder ein Model hätte sein können.
    Sophie strahlte einfach ein wenig heller als die anderen.Ihre Art zu reden war lebendig und alle lachten, wenn sie wieder einen Spruch brachte. Als hätte sie eine angeborene Star-Aura.
    Natürlich gaffte ich sie nicht an. Ich setzte etwas von meinem frisch erlernten Handwerkszeug ein, um sie unauffällig aus dem Hintergrund zu beobachten und dabei auf Abstand zu bleiben.
    Ich hatte ab Deptford Bridge die Docklands-Hochbahn genommen und dann bei Lewisham Station einen Bus erwischt, der mich Richtung Bromley in die Nobelvororte brachte. Obwohl der Bus direkt vor dem Marlowe College hielt, stieg ich ein paar Haltestellen früher aus. Ich wollte vermeiden, dass irgendjemand auf meine Ankunft beim Schultor aufmerksam wurde. Ich ging sogar einmal um den Block und näherte mich dem College aus der Gegenrichtung. Eine Menge Schüler kamen mit dem Auto und ich war überrascht von der großen Zahl von Minis, Golfs und Käfer-Cabrios auf dem kleinen Parkplatz. Niemand beachtete mich: Mit meiner Jeans, dem dunkelgrauen Sweatshirt und den schwarzen Skaterschuhen aus Wildleder war ich völlig underdressed, und mein Telefon, Notebook und meine Bücher steckten im Rucksack. Ich wollte einfach nur nicht auffallen.
    Alles hatte sich auf dem großen Hof vor dem Schulgebäude versammelt. Es war der erste Tag des Schuljahrs und die Schüler standen in Paaren und Grüppchen herum. Das Summen ihrer Gespräche hing in der Luft, schwirrend von der Aufregung, sich nach den großen Ferien auf den neuesten Stand zu bringen. Ich drehte eine Runde um den Hof, sah mich um, als ob ich jemanden suchte, und beobachtetedabei die verschiedenen Gruppen. Gleichzeitig behielt ich die ganze Zeit Sophie Kelly und ihre Gang   – ganz Haare, Leggings und

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