Long Reach
Ugg-Boots – fest im Auge.
Noch etwas war ungewöhnlich an ihnen: Sie schienen keine Typen anzuziehen. Die Jungs strichen um sie herum und glotzten, aber sie stellten sich nicht dazu. Es war, als wäre ich in einer Art Tierdoku gelandet. Die Mädchen um Sophie Kelly wussten genau, dass die Jungs um sie kreisten, und vollführten die entsprechenden Bewegungen: machten an ihren Haaren herum, prüften ihren Lipgloss, legten lässig die Hände hinter den Kopf, als sei der Tag für sie eigentlich schon gelaufen. Die Blicke, die sie den Männchen in ihrer Nähe zuwarfen, wirkten nicht im Mindesten einladend. Alles diente nur dem Schutz ihrer Bienenkönigin.
Sophie Kelly kennenzulernen schien schon jetzt eine schwierigere Angelegenheit, als ich angenommen hatte.
»’tschuldigung …« Als ich einen Schritt rückwärts gesetzt hatte, war ich jemandem direkt auf den Fuß gestiegen. Meine Entschuldigung kam automatisch, aber wer immer da hinter mir stand, musste mir praktisch in den Kragen geschaut haben. Ich drehte mich um und sah einen vertrottelt wirkenden Typen mit riesiger Lockenfrisur, die fast schon als Afro durchging.
»Kein Problem«, sagte er grinsend. »Die Kelly-Gang.« Er nickte in Richtung der Mädchen und in mir stieg Wut auf mich selbst hoch. So viel zu meinen unauffälligen Beschattungskünsten – schon jetzt hatte mich jemand dabei beobachtet, wie ich jemanden beobachtete.
»Gucken erlaubt, anfassen verboten«, erläuterte der Afro.
»Ah, okay.«
»Neu an der
Ch
ule?«, fragte er. »Benjy French.« Offensichtlich hatte er ein Problem mit dem
Sch
. Er streckte seine Hand aus und ich schüttelte sie. Sie fühlte sich lasch an und etwas feucht, wie ein Fi
ch
.
»Eddie Savage«, antwortete ich. »Ja, ich bin neu.«
»Dann brauchst du einen Freund, der dich rumführt«, lispelte Benjy French weiter, als bliebe mir da gar keine Wahl. »Was hast du denn für Fächer?«
»IT, Kunstgeschichte und Französisch.« Ich widerstand der Versuchung, »Ge
ch
ichte« und »Französi
ch
« zu sagen.
»Interessante Auswahl«, sagte er. »Dann hast du IT mit mir.«
»Komm ich da noch drumrum?«
Benjy grinste, unsicher, ob das Sarkasmus sein sollte oder nicht.
»Dann mal reinge
ch
lendert«, sagte er schließlich. »Erste Stunde geht los.«
Benjy French setzte alles daran, in IT neben mir zu sitzen. Die anderen Jungs schubsten und knufften ihn auf dem Weg ins Klassenzimmer, zogen ihn auf und wuschelten in seinem Lockenschopf herum. Er war eindeutig der Klassenarsch, schien aber seine Stellung im Leben mit Würde zu tragen, indem er die anderen nur freundlich bat, sich zu verziehen.
Wohin man auch ging, es waren immer die bedürftigen Freaks, die als Erste ankamen und Freundschaft schließen wollten. Entweder waren es diejenigen, die sonst keiner leiden konnte, oder sie hatten all ihre anderen Freunde durchihre extreme Seltsamkeit und Gier nach Aufmerksamkeit in die Flucht geschlagen. Mit allen anderen waren sie schon durch und jetzt warst du an der Reihe. Frischfleisch.
Leute, die einem auf Teufel komm raus die Freundschaft aufdrängten, hatte ich schon immer gemieden. Und so versuchte ich, ihn in der ersten Pause abzuschütteln, auch wenn ich mir dabei etwas arschig vorkam. Aber Benjy ließ nicht locker, heftete sich an mich wie eine Klette und folgte mir in die Schulmensa. Ich befürchtete schwer, dass seine Gesellschaft mich schon im Vorfeld unmöglich machte. Da mich aber sonst keiner angesprochen oder überhaupt nur eines Blickes gewürdigt hatte, beschloss ich, dass ich meine Nachforschungen ebenso gut bei Benjy French beginnen konnte. Ich schnappte mir einen Kaffee und er ließ sich neben mich fallen. Wie ein durstiges Baby nuckelte er an seiner Wasserflasche.
»Erste Eindrücke?«, fragte er und sah sich in der Kantine um. Ich konnte keine Besonderheiten entdecken: ein paar Automaten, ein paar Tische, eine Sandwichtheke. Sophie Kelly und einige ihrer Freundinnen saßen auf der anderen Seite des Raums.
»Ja, nicht schlecht«, sagte ich, um ihm nicht auf den Schlips zu treten.
»Also, wie kommt’s, dass du dieses Jahr anfängst?«, fragte Benjy.
»Ich hab zwischendurch mit der Schule aufgehört«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Ein Todesfall in der Familie. Ich hab eine Zeit lang pausiert und dann hier einen Platz gekriegt.«
»Tut mir leid«, sagte Benjy und sah mich aus den Augenwinkelnan. Einen Moment lang hielt er die Klappe, als befürchtete er, mir zu nahe getreten zu sein. Ich
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