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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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meine vierte Woche in Bermondsey, aber dazwischen hatten wir auch einen Sonntagsmarkt gemacht, der letztlich ein Reinfall gewesen war. So saß ich auf einer ganzen Menge Ware. Dasmeiste davon war neu, aber auch Barney Lipmans Bild durfte mal wieder ran. Danny erzählte mir, dass Händler frische Ware riechen konnten. Wenn etwas neu auf den Markt kam, sagte ihnen das der Instinkt, als wäre es Frischfleisch.
    Seine Theorie schien sich zu bewahrheiten. Die ersten Stunden hatten wir alle Hände voll zu tun, aber dann beruhigte es sich. Die meisten Händler fanden, dass meine neuen Stücke zu hoch angesetzt waren, als dass sie noch irgendwas dran hätten verdienen können. Das machte mir im Grunde nichts aus. Ich war froh, die Sachen noch ein bisschen um mich zu haben. Barneys Kurt Schwitters stand im Stapel vor dem Stand auf dem Boden.
    Gegen neun ging ein Raunen durch die Reihen der Händler. Irgendjemand Wichtiges war aufgetaucht. Ich spähte am Imbisswagen vorbei zum Parkplatz, wo zwei große Autos vorgefahren waren: ein dunkelblauer Benz und ein Bentley in Blaumetallic.
    »Achtung, stillgestanden!«, sagte Danny.
    Einer der Händler von den Nachbarständen, ein alter Cockney mit eindrucksvollem Schnurrbart, gesellte sich zu uns. »Da soll uns irgendeine große Nummer einen Besuch abstatten.«
    Mich überlief ein Schauer. Doch sicher nicht   …
    »Ron meint, es ist Tommy Kelly.« Mein Herz begann zu rasen. Was zum Teufel hatte Tommy hier zu suchen?
    Danny versuchte, mich zu beruhigen, erklärte mir, es habe Tradition auf dem Markt, dass sich hier ab und an mal ein Ganove blicken ließ, besonders früher, als die alten Regeln noch galten. Es wirkte wie ein Staatsbesuch. Ich beobachtete,wie Tommy Kelly, flankiert von hünenhaften Babysittern in teuren Anzügen, durch die Standreihen strich. Die Typen sahen aus wie Schurken aus einem Gangsterfilm: ein Riese mit einem Gesicht, als wäre es durch den Wolf gedreht worden, und der andere genauso groß, mit etwas weniger verhunzter Visage, dafür mit bedrohlich ruhiger Ausstrahlung.
    Im Vergleich hatte Tommy nichts von einem Bösewicht. Er trug einen langen, anthrazitgrauen Mantel, einen gestreiften Schal, eine flache Wollkappe und glänzende schwarze Stiefel. Er wirkte eher wie der Besitzer einer teuren Herrenmodekette   – nichts Angeberisches, aber Qualität. Aus der Entfernung sah ich, wie er die Stände auf- und abschritt, wie die Standbesitzer dieses arschkriecherische Lächeln aufsetzten, das man für Treffen mit Filmstars oder mit der Queen reserviert. Als er sich unserem Stand näherte, wurde Danny merklich nervöser.
    »Kennst du ihn, Danny?«, fragte ich.
    »Nur seinen Ruf«, sagte Danny. »Los geht’s. Das ist derjenige, auf den wir gewartet haben.«
    Und dann steuerte Tommy Kelly auf unseren Stand zu.
    »Hallo, Eddie«, sagte er. »Sophie hat mir erzählt, dass du hier unten einen Stand hast.« Seine Stimme war unbeschwert und freundlich, genau wie bei ihm zu Hause. Wenn überhaupt etwas bemerkenswert war, dann der leicht verstärkte Südlondoner Dialekt, als ob er sich dem Markt angepasst hätte. Ich zwang mich, etwas zu antworten.
    »Ja, ich mach das jetzt seit einem Monat«, sagte ich. »Es läuft gut.« Die Aufpasser standen je auf einer Seite. Der brutal aussehende furchte die Stirn, der andere zeigte denAnsatz eines Lächelns, vielleicht, weil sein Boss so freundlich auftrat. Tommy Kelly sah sich den Kram an meinem Stand an. Dann nahm er die Propelleruhr in die Hände.
    »Du hast ein paar nette Sachen«, sagte er. »Qualitätsware. Was kostet die Uhr?«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, ihm für irgendwas Geld abzuknöpfen.
    »Ich wollte eigentlich hundertzwanzig dafür«, fing ich an. »Aber ich könnte   …«
    »Und das Regal?«
    »Eigentlich hundertfünfzig, aber   …«
    »Ich nehm beides«, sagte er. »Ich hab was übrig für alte Flugzeuge, wie du weißt.« Sein Blick schweifte noch über den Rest des Stands, dann ging er in die Knie und sah sich den Stapel Bilder und Rahmen durch, die vorn aufgestellt waren. Ich spürte, wie die Augen aller Standbesitzer auf mir ruhten. Als wäre der Markt von Bermondsey plötzlich eingefroren und ich gefangen im kalt gleißenden Scheinwerferlicht. Tommy erhob sich wieder. In der Hand hielt er die Schwitters-Collage von Barney Lipman.
    »Was ist das?«
    »Soll von irgendeinem deutschen Künstler sein, aber   …«
    »Ich dachte, du hättest keine Ahnung von

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