Long Reach
deutete auf ein paar Höhlen, die zu beiden Seiten auf Wasserhöhe in die Felsen gehauen waren. » U-Boot -Vor posten «, erklärte er. Das Wasser sei hier tief, fuhr er fort, und der Fluss war im Zweiten Weltkrieg ein wichtiges Rückzugsgebiet für die deutsche Kriegsmarine gewesen. Die tiefen dunklen Höhlen im Gestein wirkten in der Nachmittagssonne auf einmal viel finsterer. »Verrückt, wenn man bedenkt, dass sich hier die Leute vor fünfzehn Jahren noch gegenseitig in Stücke gerissen haben. Das war hier schon immer Kriegsgebiet.«
Tommy wusste gern Bescheid, welche Geschichte die Orte um ihn herum hatten, und wahrscheinlich auch, welche Rolle ihm darin zukam. Mir war nicht klar gewesen, dass die Kroaten erst vor so kurzer Zeit mit ihren Nachbarn, den Serben, im Krieg gelegen hatten, und auf einmal fühlte ich mich sehr fern von zu Hause, getrennt von allem und jedem und völlig unerreichbar.
An einem Ort, wo alles passieren konnte.
Wir überquerten einen riesigen Binnensee und tuckertenein paar Stunden später in den Hafen von Skradin ein. Der Ort mit seinen auf den Berghang geklebten Häusern sah aus wie die perfekte Postkartenidylle, ähnlich dem, wo wir losgefahren waren. Nur der Hafen, in dem ungefähr ein Dutzend Segelboote festgemacht waren, war hier kleiner.
In der Bucht lag eine monströse silberne Motorjacht mit getönten Scheiben vor Anker. Sie war noch ein gutes Drittel länger als unsere, sicher fast vierzig Meter.
»Sieht nach Baschis Wanne aus«, sagte Tommy, der sie durch ein Fernglas betrachtete. »Zumindest sind wir da, wo wir hinwollten.«
Wir duschten, während die Crew das kleine Motorboot zu Wasser ließ, und dann fuhren wir – Tommy, Saul und ich – an Land. Saul machte einen Anruf mit seinem Blackberry und wir zogen los zu einer Bar an der Hafenpromenade. Der Laden war voll, überwiegend mit Italienern und Russen. Sie waren leicht zu unterscheiden, und zwar nicht nur an der Sprache. Die Italiener schwebten betont elegant umher, ganz entspannt mit ihren teuren Sonnenbrillen und Gucci-Schuhen. Obwohl die Russen offensichtlich Geld hatten, wirkten sie, als hätten sie alles erst gestern gekauft und die Kleiderbügel in ihren Klamotten vergessen.
Die Gruppe, die wir suchten, war nicht schwer zu finden: ein Tisch voll ernst dreinblickender Männer, die literweise Bier in sich reinschütteten und lautstark in ihre Handys schwafelten. Als wir uns dem Tisch näherten, sprang der Mann in der Mitte auf und grinste mit goldüberkrontem Gebiss.
»Tomassowitsch!«, rief er und zog Tommy an seine Brust, um ihm auf jede Wange einen Kuss zu drücken. Größer alsTommy war er nicht, aber breit, mit einem riesigen, kahl rasierten Schädel. Ich fand, dass er aussah wie eine Ofenkartoffel: braun, mit Pockennarben und etwas schwammig. Tommy schien sekundenlang etwas aus der Fassung gebracht, aber dann stellte er Saul und mich vor.
»Saul, Eddie«, sagte er. »Alexei Baschmakow.«
»Eddie? Dein Sohn?« Die Kartoffel schüttelte mir die Hand und klopfte mir auf die Schulter.
»Mein Assistent«, verbesserte Tommy. »Jason kümmert sich zu Hause ums Geschäft, während ich im Ausland bin.«
Mein Blick traf den von Saul Wynter und er sah schnell weg.
Wir tranken ein paar Biere, Karlovačko. Die Russen bestanden auf Tuborg. Während Tommy und Baschmakow sich über dies und jenes unterhielten, nickten Saul und ich freundlich, lächelten und stießen mit seinen Kumpeln an. Die telefonierten ohnehin die meiste Zeit und steckten sich Marlboros an.
»Alexei hat uns freundlicherweise auf ein Glas Champagner auf seine Jacht eingeladen«, sagte Tommy nach einer Weile. »Eddie, du müsstest für mich zurück an Bord gehen und die Bilder holen. Und nicht in die Brühe fallen lassen.« Er lachte und die Russen stimmten ein.
Ich ging den Hafen entlang zu der Stelle, wo das Beiboot vertäut lag, vorbei an einigen hübschen Lädchen, die gestreifte Segelpullis und Flip-Flops verkauften. Noch eine weitere russische Jacht war am Anlegeplatz festgemacht. Betrunkene Bikinimädchen kicherten auf Deck und am Kai glotzten fette Männer und wünschten sich unter die Gäste.
Dem Boot gegenüber, jenseits eines breiten Kopfsteinpflasterstreifens,lag noch ein Café. Draußen saßen Leute an Tischen, genossen die Aussicht und das vorbeiziehende Leben. An einem Tisch saß ganz allein ein dunkelhaariges sexy Mädchen bei einer Tasse Kaffee und einer Zigarette. Sie trug eine große schwarze Sonnenbrille und eine weiße
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