Long Reach
Bluse über ultrakurzen Shorts. Ich hätte schwören können, dass sie hinter den dunklen Gläsern meinen Blick suchte. Einen Moment lang sah ich noch hin, dann war ich mir sicher. Anna.
Ich setzte einen Schritt nach vorn, aber sie schüttelte den Kopf. Ich hielt inne. Sie drückte ihre Zigarette aus und hinterließ Kleingeld auf dem Tisch. Ich tat, als interessiere ich mich wie die anderen Männer für die Jacht, während sie aufstand und das Café verließ. Sie bog in die nächste Straße voller Geschenkläden und Bars ein und mit ein paar Sekunden Abstand folgte ich ihr. Ich sah, wie sie vor einer Zeitschriftenhandlung stehen blieb. Davor war ein Ständer mit Postkarten aufgebaut, und ein Gestell mit europäischen Zeitungen. Sie ging die Postkarten durch. Ich trat zu ihr und betrachtete die Zeitungen, um eine auf Englisch zu finden.
»Was machst du hier?«, fragte ich leise.
»Dasselbe wie du«, antwortete sie. »Ich arbeite.« Ich hörte einen Anflug von Ironie heraus. »Wir müssen reden. Triff mich morgen früh hier, wenn du wegkommst. Vor zwölf.«
»Ich hab keine Ahnung, wie der Plan für morgen aussieht«, sagte ich.
»Wenn du’s nicht schaffst, lass ich hier auf dem Ständer eine Karte für dich da.« Sie schaute mich nicht an, aber aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie auf die dritte Reihe vonunten deutete, in der Mitte des Ständers. »Erfinde irgendeine Ausrede. Ein Geschenk für Sophie, irgendwas.«
Sie zog eine Karte heraus, mit einem Wasserfall-Motiv, und ging hinein, um zu zahlen. Ich wartete auf sie, aber als sie herauskam, würdigte sie mich keines Blickes. Sie spazierte einfach weiter die Straße entlang. Einen Moment lang starrte ich ihren langen, braunen Beinen hinterher und bemerkte dann, dass der Zeitungsverkäufer genau dasselbe tat.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging in die Gegenrichtung, zurück zum Boot, völlig durch den Wind.
Einundfünfzig
Als Darko mich schließlich wieder in der Motorjolle übersetzte, floss auf Baschmakows Jacht bereits der Champagner in Strömen. Ihre Lichter leuchteten auf dem ruhigen Wasser und es glitzerte, nicht wie ein Weihnachtsbaum, sondern eher wie ein schwimmender Nachtclub.
Es gab drei Decks, und ein Steward in Uniform, der kein Wort Englisch sprach, führte mich durchs Boot.
Das Unterdeck war dunkel, vollgestopft mit Mädchen und fies aussehenden Russen, die sich entweder auf Bänken herumfläzten oder zu Eurodiscoklängen wiegten. Alle tranken und keiner interessierte sich für mich. Der Steward führte mich eine glänzende Stahltreppe hinauf in den oberen Salon.
Dort oben war die Atmosphäre etwas exklusiver. Alles war beeindruckend geräumig und ich fragte mich, wie man solch eine riesige Fläche ins Innere eines Schiffs bekam. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte das hier für eine noble Bar in irgendeinem internationalen Hotel gehalten. Der Boden und die Einbauschränke waren aus poliertem Holz, alles Übrige aus glänzendem Chrom oder cremefarbenem Leder.
Obwohl auch hier gelacht wurde und die schönsten Mädchen überhaupt herumhingen, waren Tommy, Saul und Baschi, wie sie ihn nannten, in eine geschäftliche Unterhaltung verwickelt. Als wäre es eine Cocktailparty.
Saul entdeckte mich und rief mich hinüber.
»Und hier ist er auch schon«, sagte Tommy und küsste mich auf die Wange. Er hatte jetzt schon ein paar intus. »Zeig dem Fuchs den Gänsebraten.« Baschi lachte und wir gingen rüber zum großen Kartentisch in der Mitte des Salons.
Ich hievte die Mappe auf den Tisch und zog den Reißverschluss auf. Tommy blätterte die Klarsichthüllen durch und zog meinen Schwitters heraus.
»Hier geht’s los«, sagte er. »Mein Geschenk an dich. Kurt Schwitters. Englische Periode. Dürfte dir gefallen, oder?« Er reichte es Baschmakow, der es sofort umdrehte und die Rückseite untersuchte. Er setzte seine Brille auf, um die Schrift zu entziffern, sah sich dann die Vorderseite an, betrachtete die Ecken des Rahmens und schließlich die Collage selbst.
»Ist es richtig?«, fragte er.
Tommy reckte die Hände wie ein Händler aus dem East End. »Was heißt? Ist von mir höchstpersönlich geklaut!«
Darüber schütteten sie sich alle aus vor Lachen und Tommys Dreistigkeit schien zu reichen, um Baschmakow von der Echtheit zu überzeugen. Vielleicht war es ihm auch einfach wurscht.
Tommy zog die anderen Gemälde und Zeichnungen aus den Hüllen: Zeug, das ich online auf Auktionen gekauft hatte, auf seine Anweisung. Die Bilder
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