Long Reach
waren ziemlich gewöhnlichund erst jetzt kapierte ich, dass sie nur da waren, um die Sammlung etwas aufzufetten.
»Schrott … Schrott«, sagte Tommy und drehte eines nach dem anderen um, bis er zu einem weiteren Bild auf kräftigem Aquarellpapier kam. Mir war es völlig neu. »Ah, jetzt kommt’s.«
Es war eine Bleistiftzeichnung von einem Zigeunermädchen, mit hohen Wangenknochen und blitzenden Augen. Langsam verstand ich ein bisschen was davon. Mir gefiel es selbst ganz gut. Es war mit ’07 datiert, was wohl für 1907 stand, aber es sah richtig modern aus. Vielleicht war es das auch.
»Augustus John«, erklärte Tommy. »Klassisches Stück, 1907.«
Baschi nickte anerkennend. »Von ihm ich habe schon zwei Porträts in Öl. Dieses gefällt mir.«
»Guter Geschmack, Herr Baschmakow«, lobte Tommy. »Zeig ihm unser Kabinettstückchen, Eddie.«
Ich entfernte den Deckel von der Rolle und ließ die Leinwand hinausgleiten. Tommy schälte das billige Gemälde ab, das das richtige schützen sollte, und breitete den Bacon auf dem Kartentisch aus. Er sah dem, den ich vor Monaten in Barney Lipmans Studio gesehen hatte, ziemlich ähnlich, aber das behielt ich lieber für mich.
»Als das letzte von denen auf den offiziellen Markt kam, hat es fünfundzwanzig Millionen gebracht«, sagte Tommy. »Das ist eine Studie für die
Figuren am Fuße der Kreuzigung
, was in der Tate Gallery in London hängt.«
Erst schenkte er Baschmakow noch ein Glas Champagner ein, dann sich selbst. Mit dem Verkauf schien er esnicht eilig zu haben, wenn er überhaupt darauf aus war. Eher schien er mit etwas aus seiner privaten Sammlung zu prahlen. Ich schätze, genau das war der Trick. Baschmakow nahm den Bacon minutiös unter die Lupe, untersuchte die Ränder der Leinwand. Wo sie früher auf den Holzrahmen gespannt gewesen war, hatte sie jetzt kleine Nagellöcher.
»1944«, fuhr Tommy fort. »Alle Experten sind sich einig, dass Bacons Karriere damit losging. Fast alles, was er vorher gemacht hat, hat er vernichtet. Drum haben die Leute angenommen, das wäre auch mit dem hier passiert. Selten wie Schaukelpferdkacke.«
Baschmakow nippte an seinem Champagner und steckte sich eine Kippe an. So langsam sah er ziemlich ernst aus, als würden ihn Tommys Worte beeindrucken – und ich muss zugeben, sie klangen ziemlich überzeugend.
»Also, woher kommt es?«, fragte Baschmakow.
»Ist schon seit den Sechzigern verschwunden«, erklärte Tommy. »Alle sind davon ausgegangen, dass es im Müll gelandet ist. Aber durch einen unserer Mittelsmänner haben wir es bei einer alten Schwuchtel in Bayswater in der Wohnung gefunden. Einer von Bacons Liebhabern. Hat das Bild mitgehen lassen, als Schluss war.«
Für meine Ohren klang die Geschichte richtig gut. Ich glaubte dran und ich hatte sie immerhin selbst erfunden. Hatte ein bisschen rumrecherchiert. Francis Bacon war dafür bekannt, dass er mit irgendwelchen Ganoven in Soho abgehangen hatte. Einer seiner Freunde war Einbrecher gewesen, hatte Tommy mir erzählt. Damals hatte Schwulsein genauso als Verbrechen gegolten wie bewaffneter Raubüberfall.Da konnte man schon für das Einführen von Latten verknackt werden, hatte Tommy gewitzelt.
»Also ist es geklaut?« Baschi klang nicht sonderlich besorgt.
Tommy zuckte die Achseln. »Anscheinend hat Bacon selbst nicht mal gemerkt, dass es weg war. Der alte Hinterlader war die meiste Zeit so besoffen, dass er eh keinen Überblick mehr hatte, was er vernichtet hatte und was nicht. Aber wenn man’s genau nimmt, ist es unredlich erworben und kann nicht auf den freien Markt.«
»Wie viel?«, fragte Baschmakow. Er hatte genug gehört und Tommys Geschichte ergab Sinn.
»Wie gesagt, Damien Hirst hat für eins wie das hier fünfundzwanzig bezahlt. Damit hättest du ein Bild, für das würden sich die meisten Museen Europas die Eier abschneiden lassen.«
»Sag es mir einfach.« Baschmakow lachte und legte seinen Arm um Tommys Schultern. »Raus damit, ohne die blumigen Worte. Ich bin kein Mädchen.« Er drückte Tommy an sich und machte ein Kussgeräusch.
»Wie du willst«, sagte Tommy. »Fünf.«
Baschmakow schürzte die Lippen. »Euro? Du verarschst mich doch nicht, oder, Kelly?«
»Hand aufs Herz«, sagte Tommy.
»Drei.«
»Viereinhalb, und wir sind im Geschäft.«
Baschmakow grinste und sie schüttelten sich die Hände. Viereinhalb Millionen Euro. Eben mal so.
Einer von Baschmakows Handlangern kam in den Salon und sagte etwas auf Russisch.
»Klingt, als
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