Long Reach
Gästezimmer von Kelly Towers, im Finstern, auf weiche Federkissen gebettet. Es war fast zwei Uhr morgens und ich konnte nicht einschlafen – wegen derSchmerzen und des Adrenalinrauschs, der sich in meinem Körper nur zögerlich abbaute.
Aus Gründen, die nur sie selbst kannte, hatte Sophie darauf bestanden, dass ich mit hierherkam. Ich wollte nicht, aber nachdem sie mich aus der Notaufnahme geschleift hatte, mit sechs Stichen in der Augenbraue, einem geborstenen Blutgefäß im anderen Auge, einer gebrochenen Rippe und zahlreichen anderen Schnittwunden und Blutergüssen, war ich einfach zu schwach, um noch zu diskutieren.
»Sie hätten den anderen Kerl sehen sollen«, hatte ich lahm gewitzelt, als mich die Schwester zusammenflickte. Doch die hatte zu viele Nächte in Hackney damit zugebracht, Messerwunden zu versorgen, um mich noch komisch zu finden.
Jason hatte eine ganze Weile gebraucht, um zu Bewusstsein zu kommen, und war völlig dehydriert. Wahrscheinlich, weil er so mit Speed vollgepumpt war, hatte Gary gemeint. Er war weggebracht worden, um die Nacht zur Beobachtung in einer Privatklinik in Blackheath zu verbringen.
Von Tommy oder Cheryl hatte ich seit dem Kampf nichts gesehen. Bei Sophie hatte ich rausgehört, dass Cheryl ziemlich unglücklich über das Ganze gewesen und vor dem Ende rausgegangen war, und dass Tommy über das Ergebnis beschämt gewesen und abgehauen war, ohne mit irgendwem ein Wort zu wechseln.
Seinen Sohn inbegriffen.
Ihre Schlafzimmertür am anderen Ende des Flurs war fest verschlossen und alles war ruhig. Bis meine Tür aufging.
»Bist du wach?« Es war Sophie. Im Halbdunkel konnte ich gerade eben ihr Haar erkennen. Sie beugte sich herunter und der dünne Stoff ihres Nachthemds strich über meineüberreizte Haut. Sie küsste mich sacht und ich konnte die salzigen Tränen auf ihrer Wange schmecken. »Es tut mir leid, Eddie«, flüsterte sie.
»Schon okay.« Meine Stimme klang klein, schwach und unsicher.
Ich fühlte ihr Gewicht, als sie sich langsam neben mir auf der Matratze niederließ. Nicht einmal mein jämmerlicher Zustand ließ mich die Furcht vor ihrem alten Herrn vergessen, der nur wenige Türen weiter schlief.
Sanft küsste sie mein ramponiertes Gesicht von oben bis unten, und dann spürte ich, wie ihre Finger unter der Decke meinen Bauch entlangglitten und am Bund meiner Boxershorts zupften. Aus meinem Hals drang ein leises Seufzen. Sie musste geglaubt haben, dass sie mir wehgetan hatte. Hatte sie aber nicht.
»Entschuldige«, wisperte sie noch einmal.
Ich erbebte, als sie ihre Arme hob und das Nachthemd über den Kopf zog. Mir fiel wieder etwas von einer Geburtstagsüberraschung ein. Ihre Finger fanden den Knopf an meinen Shorts und machten ihn auf.
Und als sie sich zu mir ins Bett legte, lösten sich meine Schmerzen in Luft auf.
V
Elgar
Neunundvierzig
Ich lag an Deck, blickte in den blauen Himmel über den Bergen und dachte mir, dass es noch weitaus schlechtere Existenzen gab.
Kroatien war viel hübscher, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte geglaubt, hier gebe es nur graues Gemäuer und nichts zu essen als Gurken mit Knoblauchsoße, und doch waren wir eben erst angekommen und hatten schon ein erstklassiges Mittagessen vor einem rosafarbenen Restaurant mit Meerblick verzehrt. Nudelsuppe, Krebsrisotto und etwas kühlen Weißwein.
Okay, ich hatte meinen Eid gebrochen, aber das süße Leben auf einer riesigen Jacht in der Sommersonne hatte Widerstand zwecklos gemacht. Um ehrlich zu sein, ich war schon ein paarmal schwach geworden, seit meine neue Position in der Firma mir langsam in Fleisch und Blut überging.
Jetzt stand ich schon einige Monate in Tommy Kellys Diensten und er hatte Wort gehalten. Ich arbeitete überwiegend an den Gemälden: erstellte Listen, googelte Bilder im Internet. Ich recherchierte Auktionsergebnisse für Werkeund erfand Provenienzgeschichten für Bilder, die »verschwunden« gewesen waren oder die es nie gegeben hatte, bis sie »entdeckt« wurden – von Barney Lipman oder einem anderen Künstler aus Tommys Netzwerk.
Oft saß er neben mir und sah mir zu, immer noch mit der Behauptung, er könne mit einem Computer nicht umgehen. Dass er es wirklich nicht konnte, bezweifelte ich – er wollte eher nicht. Er wollte seine Fingerabdrücke nicht ins Cyberspace hinausschicken, nicht auf irgendwelchen Festplatten oder Servern Beweismittel im Logfile hinterlassen – nichts, was auf ihn zurückfallen und ihm irgendwann eine
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