Long Tunnel. Ein Roman des Homanx- Zyklus.
jetzt schon fast an, wollte die Distanz beibehalten, die er zwischen ihnen hatte entstehen lassen, wollte ihr jedoch auch keine Angst machen.
»Die Melioraren wollten die Menschheit verbessern, soweit ich mich entsinnen kann. Wenn dein Geist ein Spiegelbild deiner Moral ist, dann habe ich nichts zu befürchten.«
»Clarity, du willst es einfach nicht sehen, oder?«
»Du sagtest, ich könnte es nicht sehen. Hilf mir zu verstehen, Flinx!« Sie machte einen Schritt auf ihn zu, dann hielt sie inne. Sie wünschte sich inständig, ihn zu halten, ihn zu umarmen und zu trösten und ihm zu sagen, ganz gleich, was passiert sei, es werde sich alles zum Guten wenden. Doch zur gleichen Zeit konnte sie seine Warnung nicht so einfach beiseite wischen, daß es für sie vielleicht besser wäre, wenn sie gerade dies nicht täte.
Beide wurden hin und her gerissen zwischen dem Verlangen ihrer Herzen und dem Befehl ihres Verstandes, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Sie hätten in diesem Moment alles klären können, hätten ihrem Leben auf die eine oder andere Art und Weise eine entscheidende Wendung geben können, nur vermochten sie ihr Gespräch nicht mehr fortzusetzen.
10. Kapitel
Die Explosion schien endlos lange in den Tunnels und Korridoren widerzuhallen. Die chemischen Leuchten, die an Decken und Wänden angebracht waren, flackerten nicht und erloschen nicht, da jede von der nächsten unabhängig war.
Eine zweite Explosion folgte auf die erste. Sie mußte am Eingang zur Coldstripe-Höhle stattgefunden haben, ein Stück von den Labors und den Schlafquartieren entfernt.
»Ein Unfall!« rief Clarity.
Flinx schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Er erkannte den Knall einer Vernichtungsladung, wollte sie aber nicht beunruhigen, ehe er sich nicht ganz sicher war.
Gleichzeitig schalt er sich einen vertrauensseligen Narren. An Bord der Teacher gab es Feuerwaffen. Er hatte sie dort zurückgelassen, im Vertrauen darauf, daß er Zeit genug hätte, Clarity ihren Kollegen zu übergeben und gleich wieder zu starten. Er hatte von Seiten der Kidnapper zwar mit Beharrlichkeit gerechnet, jedoch nicht mit einem solchen Tempo. Und ihr Rundgang durch die Abteilungen hatte ihm nach und nach einen trügerischen Eindruck von Sicherheit vermittelt, der nun brutal zerstört wurde. Keine Einrichtung war sicher vor Eindringlingen. Tse-Mallory wäre von ihm bestimmt enttäuscht. Dieser alte Mann hatte sein Bestes getan, um den Schädel seines jungen Freundes mit Taktiken und Strategien sowie Geistes- und Naturwissenschaften vollzustopfen.
»Unsere Zivilisation gründet auf Gesetz und Vernunft«, hatte er Flinx einmal erklärt, »aber vergiß niemals, daß die Mächte der Finsternis ständig angreifen und sie belauern, ihre Widerstandskraft testen und nach einem Weg suchen, um einzudringen. Dabei rede ich nicht nur von den AAnn. Vor denen habe ich weniger Angst als vor innerem Zerfall und einem Zusammenbruch der Moral und vor denen, für die Ethik nichts anderes ist als eine lästige Spinnerei. Vor denen mußt du ständig auf der Hut sein. Sie machen sich in einer Zivilisation breit wie eine lästige Erkältung, und ehe du dich versiehst, liegt der ganze Organismus tödlich krank mit einer Lungenentzündung darnieder. Dieses Übel kann den einzelnen genauso treffen wie ganze Institutionen.
Deshalb haben wir die Vereinigte Kirche, um all jenen moralische Führung und Beistand angedeihen zu lassen, die es nötig haben. Unfehlbar ist das nicht, und die Pater wissen das genau.«
Ich brauche eine Pistole, sagte Flinx sich, während er und Clarity Hand in Hand durch den Korridor rannten, und keine moralische Aufrüstung.
Verwirrte Rufe und entsetzte Schreie mischten sich mit dem verhallenden Echo des Explosionsdonners. »Deine Freunde sind wieder hier, um dich zu holen!« rief er ihr durch den Lärm zu.
»Unmöglich! Sie könnten niemals den Sicherheitsdienst am Raumhafen überwinden.«
Pip sauste am Kopf ihres Herrn vorbei und suchte ständig den Gang vor ihr mit den Augen ab. »Und wenn sie ganz woanders hereingekommen sind?«
»Es gibt keine andere Möglichkeit«, beharrte sie. »Eine VTL-Fähre hätte eine Chance von fünfzig zu fünfzig, in einem Anlauf auf der Landebahn herunterzukommen. Die Chancen für einen erfolgreichen Start sind noch geringer. Und was diesen Außenposten angeht, so verfügt er über einen einzigen Eingang, und du hast ja selbst die stabile Tür gesehen, unter der wir mit der Fähre durchgefahren sind.
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