Long Tunnel. Ein Roman des Homanx- Zyklus.
hob, um etwas mehr erkennen zu können, »haben diejenigen, die die Erhaltung des Lebens predigen, keine Hemmungen, es zu vernichten, um das zu erreichen, was sie als ihr höchstes Ziel betrachten. Oft sind sie ausgerechnet an der Erhaltung des Lebens ihrer Mitmenschen nicht interessiert.« Während er die Röhre wieder sinken ließ, betrachtete er sie nachdenklich. »Es ist eine Schande, daß wir diese Dinger nicht ausschalten und ihre Leistung erhalten können.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es handelt sich um einen ständig ablaufenden chemischen Prozeß. Sobald er einmal aktiviert ist, kann man ihn nicht unterbrechen, es sei denn, man zerbricht die Röhre und setzt die Mischung frei. Die Leuchtkraft nimmt ab.«
»Aber nur ganz schwach.«
»Sie halten nicht ewig. Wenn eine Röhre zu schwach geworden ist, um noch nützlich zu sein, wird sie ausgetauscht. Die meisten sind zuverlässig, in ihrer Leistung unberechenbar, aber einige halten länger als die anderen, und andere … andere erlöschen sehr schnell. Man weiß nie genau, wie die Röhren sich im einzelnen verhalten. Das ist eine Folge des chemischen Ungleichgewichts, das in jeder Probe einer Leuchtflüssigkeit festgestellt werden kann. Ganz gleich, wie sorgfältig die Mischungen zusammengestellt sind, es sind immer einige abweichend von den anderen. Ich habe schon Röhren gesehen, die wenige Stunden nach dem Einsetzen erloschen, und andere, die leuchten, seitdem die ersten Korridore auf Long Tunnel angelegt wurden.«
»Ich hoffe nur, daß diese beiden zu den längerbrennenden gehören. Noch etwas: Gibt es hier unten irgend etwas, worauf wir besonders achten müßten? Ich höre dauernd irgendwelche Geräusche.«
»Ich erzählte dir ja, daß es hier Fleischfresser gibt. Bisher sind wir nichts anderem begegnet als einigen Photomorphen und diesem Netzspinner. Worauf ich wohl die ganze Zeit geachtet habe, waren Halmwürmer. Sie sehen aus wie diese Trinkhalme, an denen wir gestern vorbeikamen.«
»Trinkhalme?«
»Diese langen dünnen Stäbe aus nahezu reinem Calzit, die wir gestern sahen. Die so aussahen wie Nadeln, die von der Decke hängen. Halmwürmer verstecken sich gern dazwischen. Sie hängen an einem Saugnapf vom Schwanzende herunter. Wenn unter ihnen etwas Eßbares vorbeigeht, dann lassen sie sich einfach fallen. Keine der vier Arten, die bisher untersucht wurden, ist giftig, aber alle haben in ihren Mäulern drei konzentrische Zahnringe. Sie sind wie Blutegel, nur viel schwieriger von der Haut zu lösen. Sie saugen sich fest, fressen sich hinein und geben ein Sekret ab, das Fleisch und Knochen verflüssigt.
Glücklicherweise sind sie keine starken Beißer. Solange sie nicht auf ungeschützter Haut landen und sich festbeißen, ist es recht einfach, sie hinter dem Kopf zu packen und wegzuschleudern. Es ist nur wichtig, daß man ihnen nicht genug Zeit läßt, um sich durch die Kleider zu wühlen. Es hat nach Halmwurmbissen noch nie Tote gegeben, aber andererseits hat sich nach so weit unten auch noch nie jemand ohne Licht verirrt. Du sagst, du hättest Geräusche gehört. Waren diese Geräusche vielleicht wie ein Klingeln in deinen Ohren?«
Er nickte. »Vor allem gestern.«
»Es gibt kleine Säugetiere, die große Ohren und trichterförmige Münder haben. Sie sind irgendwie richtig reizend, wenn man einmal davon absieht, daß sie keine Augen haben. Wir nennen sie Hörnchen. Nur Ohren und Mund und übergroße Füße. Sie suchen sich ihre Beute mit Hilfe von Ultraschall. Das größte Exemplar ist etwa dreißig Zentimeter lang. Sie fressen nichts anderes als blinde Insekten.
Sobald sie einen Käfer oder etwas derartiges aufgestöbert haben, steigern sie die Frequenz und holen es von seinem Platz oder aus der Luft oder lassen es betäubt zu Boden stürzen. Manchmal kann man diese Vibrationen spüren. Sie sind nicht gefährlich. Sicher, sie würden auch uns fressen, wenn sie könnten, aber sie haben keine Zähne. Nur diesen Trichtermund. Daher kommen sie uns nicht in die Quere.
Die Hörnchen sind nicht die einzigen Tiere, die mit Hilfe von Schall auf die Jagd gehen. Wir besaßen ein einziges Exemplar von einem Geschöpf, das aussieht wie die Kreuzung zwischen Tiger und Flußpferd. Wenn es Schall in einer Größenordnung erzeugen könnte, die seinen Körpermaßen entspricht, und noch dazu in einer falschen Frequenz, dann würde es vermutlich gefährlich für uns, aber da wir für unsere Studien nur ein totes Exemplar zur Verfügung hatten, konnten wir
Weitere Kostenlose Bücher