Lord Camerons Versuchung
darauf warten, sie der nächsten Frau auf seiner Liste zu geben?
Wohl kaum.
Diese Brillanten gehören
mir
. Pech für die anderen Ladys.
»Mir würde nicht im Traum einfallen, sie Mrs Chase’ gierigen Händen zu überlassen.« Ainsley hob die Kette an ihre Lippen. »Danke, Cameron. Ich werde sie in Ehren halten.«
Am darauffolgenden Abend trug Ainsley wie eine Lady aus dem achtzehnten Jahrhundert eine große weiße Perücke und hatte ihr Gesicht hinter einer Maske aus Goldpapier verborgen. Unbequem eingequetscht saß sie in einer Kutsche neben Phyllida Chase, die eine halbe Flasche Parfüm benutzt haben musste.
In ihrer Jugend hatte Ainsley Kostümbälle geliebt und sich Verkleidungen ausgedacht, die ihr viel Lob von ihrer amüsierten Familie und ihren Freunden eingebracht hatten. Sie war schon alles gewesen, von einer chinesischen Puppe bis hin zu einem Drachen – zu dem ein von ihr selbst gemachtes Drachenkostüm aus Pappmaschee gehört hatte. In diesem Kostüm hatte sie sich von ihrem kleinen Bruder Steven mit einem Holzschwert durch das ganze Haus jagen lassen.
Für den eleganten Kostümball heute Abend hatte Ainsley Anonymität gewollt. Sollte irgendjemand Zeuge des Austauschs von Geld gegen Briefe werden, wollte Ainsley unerkannt bleiben. Weder Isabella noch Beth würden auf diesem Ball sein, was Ainsleys Aufgabe ein wenig leichter machte. Soweit sie wusste, würde auch Lord Cameron nicht anwesend sein – ein Gedanke, der sie erleichtert seufzen ließ.
Sie hatte Cameron heute nicht zu Gesicht bekommen, doch am Nachmittag war Angelo ihr auf dem menschenleeren Flur entgegengekommen und hatte ihr schweigend das Geld in die Hand gedrückt. Seltsam, dass die meisten Leute den Roma nicht trauten, doch für Cameron stand es außer Frage, einem von ihnen fünfzehnhundert Guinees anzuvertrauen.
Fünfzehnhundert Guinees.
Offensichtlich hatte Phyllida Cameron überredet, ihr so viel zu geben. Ainsley hoffte, dass dieser Betrag Phyllida davon abhalten würde, den Handel doch noch platzen zu lassen.
Morag, zu Stillschweigen verpflichtet, hatte Ainsley bei ihrem jetzigen Kostüm geholfen. Aus Kissen hatten sie Paniers gefertigt, die sie mit einem Band um Ainsleys Taille befestigt hatten. Sie ließen den Rock, den Morag auf dem Dachboden gefunden hatte, über den Hüften weit abstehen. Der Rock war aus hellrotem Samt und rauschte leise beim Gehen. Ainsley empfand durchaus eine gewisse Freude an ihrem Kostüm, auch wenn das Mieder aus Brokat sehr eng saß und die Perücke ein wenig drückte.
Phyllida hatte darauf beharrt, dass Ainsley gemeinsam mit ihr und einigen von Harts Hausgästen zum Ball fuhr. Zu sechst hatten sie sich in Phyllidas luxuriöse Kutsche gequetscht. Die Frau neben Phyllida war als Schäferin gekleidet, perfekt bis hin zum Schäferstab, den sie in der Hand hielt. Die drei ihr gegenübersitzenden Gentlemen gingen als Kardinal, als Scheich und als spanischer Matador. Phyllida hatte das Kostüm einer ägyptischen Prinzessin gewählt – oder was sie sich darunter vorstellte – und war ganz in schimmernde Seide gehüllt. Dazu trug sie üppigen Goldschmuck und eine schwarze Perücke. Sie strahlte Sinnlichkeit aus und schien, soweit Ainsley es erahnen konnte, da sie so eng gegen Phyllida gedrückt wurde, kein Korsett zu tragen.
Phyllida und die Schäferin lachten und flirteten hemmungslos mit den Gentlemen, während die Kutsche die Landstraße entlangrollte. Anzüglichkeiten über Schäferstäbe und Stachelstöcke wurden lautstark erörtert. Einer der Gentlemen verkündete, er sei ein ungebärdiges Schaf, das gezüchtigt werden müsste, und er und seine beiden Begleiter blökten für den Rest des Weges bis zu Rowlindsons Haus wie eine aufgeregte Lämmerherde. Ainsley war noch nie im Leben froher gewesen, aus einer Kutsche aussteigen zu dürfen.
Als Phyllida ihr folgte, nahm Ainsley sie zur Seite. »Können wir den Austausch nicht jetzt vornehmen?« Die Banknoten drückten in Ainsleys Korsett, und je eher sie die Briefe zurückhatte, desto besser. Dann könnte sie nach Hause fahren, die lächerliche Perücke abnehmen und über andere Dinge nachdenken, Dinge wie zum Beispiel Lord Camerons unmoralisches Angebot.
»Nein, ganz gewiss nicht, meine Liebe.« Phyllida lachte vergnügt und war aufgekratzter, als Ainsley sie bislang erlebt hatte. »Ich bin hier, um mich zu amüsieren. Und Sie sehen göttlich aus. Kommen Sie und lernen Sie unseren Gastgeber kennen.«
Phyllidas Finger gruben sich in Ainsleys
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