Lord Camerons Versuchung
Sie mich.«
Sie raffte ihre zu langen Röcke und ging an den beiden vorbei. In den Wintergarten. Sofort.
Ainsley bahnte sich ihren Weg durch die Menge, ignorierte die bösen Blicke jener, die sie mit ihren ausladenden Hüften zur Seite drängte. Endlich entkam sie dem Saal in die relative Stille des Ganges und ging auf die Treppe zu.
Lord Rowlindson, der neu ankommenden Gästen die Hand schüttelte, hatte sie gerade erblickt und sandte ihr ein Lächeln zu. Wirkte das Lächeln jetzt böse? Ainsley konnte es nicht entscheiden. Rowlindson sah noch immer wie ein wohlwollender Gastgeber aus, dessen größte Sorge es war, dass seine Gäste einen angenehmen Abend verbrachten.
Ainsley hielt es für klüger, Lord Rowlindson nicht nach dem Weg in den Wintergarten zu fragen, und machte sich selbst auf die Suche. Wintergärten, eine moderne Ergänzung älterer Häuser, befanden sich in der Regel im Erdgeschoss, vermutlich am Ende eines Flügels. Ainsley umklammerte das kalte Eisengeländer und begann, die Treppe hinunterzusteigen.
Da hielt eine starke Hand sie zurück. Sie unterdrückte einen Schrei, als sie herumgezogen wurde und sich dem unmaskierten, sie wütend anstarrenden Lord Cameron MacKenzie gegenübersah.
12
»Verdammt, Phyllida hat Ihnen gesagt, dass Sie sich hier an diesem Ort mit ihr treffen sollen?«
Nachdem Angelo berichtet hatte, dass Phyllida mit Ainsley zu Rowlindson gefahren war, hätte Camerons Wut gereicht, das Haus in Brand zu setzen. Rowlindson, auch ein Sammler von Erotika, ging so vielen perversen Neigungen nach, dass sie ganze Bände füllen würden. Der Mann hatte sein Vergnügen daran, die skandalträchtigsten Leute des Landes in sein Haus einzuladen, sie mit Kurtisanen – weiblichen wie männlichen – zusammenzubringen und sie bei ihrem Treiben aus dem Hintergrund zu beobachten.
Beobachten war dabei das Schlüsselwort, weil es Rowlindson nur darum ging, den Akt anzusehen, besonders wenn daran drei oder mehr Akteure beteiligt waren. Zudem liebte er es zu fotografieren. Es war geradezu eine Leidenschaft von ihm, und er besaß eine umfangreiche Sammlung von Fotografien, die sich anzusehen er Cameron des Öfteren angeboten hatte.
Dass Phyllida Chase es gewagt hatte, Ainsley hierherzubringen, hatte Cameron einen besonders harten Schlag versetzt. Sie hatte es getan, um sich an Cameron zu rächen – nicht weil er seine Affäre mit ihr beendet hatte, sondern weil er sich in der Briefsache auf Ainsleys Seite gestellt hatte. Er hielt es sogar für möglich, dass Phyllida Rowlindson ein Zusammensein mit Ainsley in Aussicht gestellt hatte – als Gegenleistung dafür, dass Phyllida sie hatte mitbringen dürfen.
Sollte Rowlindson Ainsley anrühren oder sie – was wahrscheinlicher war – von anderen anfassen lassen, während er das Geschehen fotografierte, würde Cameron ihn umbringen. Cameron hätte Rowlindson allein schon für die Vorstellung töten können.
Ainsley sah mehr oder weniger munter aus, als sie ihn jetzt mit offenem Mund anstarrte. Sie hatte sich zwar mit ihrer altmodischen Perücke und der Maske gut verkleidet, aber Cameron hätte ihre grauen Augen überall erkannt.
Cameron zerrte sie die restlichen Stufen hinunter, einen Flur entlang und in den kleinen leeren Vorraum zu einem der Zimmer. Er schlug die Tür hinter ihnen zu und schloss ab.
»Was machen Sie denn nur?«, begehrte Ainsley auf. »Ich muss Phyllida im Wintergarten treffen.«
»Lieber Gott, Ainsley, was um alles in der Welt hat Sie dazu getrieben, sich hier mit ihr zu treffen?«
Er war wütend, seine Augen blitzten zornig. Im Billardzimmer auf Kilmorgan hatte Cameron sie mit solcher Sehnsucht angesehen, doch jetzt war seine Wut übermächtig und alle Sinnlichkeit vergessen.
»Ich wusste nicht, dass es diese Art von Kostümball sein würde«, entgegnete Ainsley. »Ich habe nicht gewusst, dass die Leute tatsächlich diese Art Dinge tun.«
»Sie tun es. Rowlindsons Kostümbälle sind berühmt dafür.«
»Nun, in meinem Winkel der Welt sind sie es nicht. Ich habe mich natürlich gefragt, warum Phyllida mich hier treffen wollte. Vermutlich hat sie befürchtet, ich würde ihr das Geld nicht geben, wenn wir uns irgendwo treffen, wo wir ganz allein sind. Zumindest nahm ich das an. Sie ist eine heimtückische Schlange.«
»Und deswegen werden Sie jetzt nach Hause fahren.«
»Nicht bevor ich die Briefe habe. Außerdem ist es nicht mein Zuhause. Es ist Ihres. Ich habe kein Heim.«
Die letzten Worte kamen pathetischer
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