Lord Camerons Versuchung
ich mich auf den Weg machen und die Geliebte eines Mannes werden soll.«
»Ich sage dir, dass du glücklich sein sollst. Selbst wenn es nur für kurze Zeit ist. Wir müssen uns nehmen, was wir können, wenn wir die Chance dazu haben. Tun wir das nicht, kann das Leben sehr einsam sein.«
Ainsley lehnte sich zurück und erkannte, dass es vermutlich die klügste Entscheidung gewesen war, in dieser Angelegenheit Eleanor um Rat zu fragen. Ainsley hatte auf eine klare, unverfälschte Sicht auf die MacKenzies gehofft – und die hatte Eleanor unbestritten –, aber Eleanor liebte die MacKenzies ebenso unbeirrbar, wie Beth und Isabella es taten. Ainsley hatte nicht zu Beth oder Isabella gehen wollen, weil Camerons Angebot dann sofort zu einer Familiensache geworden wäre. Das hatte Ainsley nicht gewollt, auch weil sie wusste, dass es Cameron nicht recht gewesen wäre.
Aber Eleanor, das begriff sie jetzt, war genau genommen keine Außenstehende, auch wenn sie Hart abgewiesen hatte. Eleanor bedauerte ganz offensichtlich diese Entscheidung, obwohl sie vermutlich gute Gründe dafür gehabt hatte. Vor zehn Jahren war Hart MacKenzies Ruf nicht der beste gewesen. Beth hatte Ainsley von dem Haus erzählt, das er für Mrs Palmer, seine Geliebte, gekauft hatte. Über viele Jahre hinweg hatte er Mrs Palmer in diesem Haus besucht, und die Dinge, die er dort getan hatte, waren nicht gerade konventionell gewesen. Erst nachdem seine Frau und sein Kind gestorben waren, war Hart ruhiger und diskreter geworden. Er war bei Mrs Palmer geblieben bis zu deren Tod.
Eleanor hob ihre Teetasse. »Du bist kein naives kleines Mädchen, Ainsley. Du weißt genau, was auf dich zukommt. Du kennst die Männer und weißt, was sie wollen. Du kennst die MacKenzies. Du wirst dich ohne Illusionen auf die Sache einlassen.«
Ainsley spielte mit dem Mohnkuchen auf ihrem Teller. Sie liebte Kuchen, hatte aber im Moment den Appetit verloren. »Sag mir eines, El. Wärest du an meiner Stelle – würde Hart auftauchen und dich bitten, mit ihm fortzugehen und seine Geliebte zu sein –, würdest du es tun?«
In Eleanors Augen war ein Flackern zu sehen. »Das würde er niemals tun.«
»Aber lass uns das Königreich der Fantasie betreten und annehmen, er würde es tun. Würdest du mit ihm gehen?«
Eleanor ließ ein Lächeln aufblitzen. »Mir von Hart MacKenzie Juwelen umhängen und mich bitten zu lassen, mein Bett des Nachts mit ihm zu teilen? Ich würde in arge Versuchung kommen. Aber meine Lebensumstände sind ein wenig anders als deine.«
Ainsley holte ungeduldig Luft. »Aber in einem Luftschloss wäre all das unwichtig. Also sag endlich – würdest du es tun?«
Eleanor starrte einen Moment lang in ihre Teetasse, und als sie den Kopf hob, lag ein entschlossener Ausdruck in ihren Augen. »Natürlich würde ich es tun«, sagte sie. »Ohne zu zögern.«
Eleanors Zug, der sie zurück nach Aberdeen bringen sollte, fuhr kurz darauf in den Bahnhof ein, und sie und Ainsley verließen die Teestube, um zum Bahnsteig zu gehen.
Eleanor war nicht sicher, wie Ainsley sich entscheiden würde, aber sie sah in Ainsley eine einsame junge Frau, die unbedingt einen Augenblick der Freude und Erfüllung in ihrem Leben brauchte. Ob Ainsley mutig genug sein würde, diesen Augenblick zu packen, blieb abzuwarten.
Ainsley drückte den Mohnkuchen, den sie von der Kellnerin hatte einpacken lassen, in Eleanors Hand und dankte ihr, als sie sich mit einem Kuss voneinander verabschiedeten. Es sieht Ainsley ähnlich, Großzügigkeit als Dankbarkeit zu verkleiden, dachte Eleanor. Dennoch war sie nicht zu stolz, den Kuchen anzunehmen. Sie würde die ungewohnte Leckerei nach Hause mitnehmen und sich zusammen mit ihrem Vater daran gütlich tun.
Ainsley eilte nach ihrem Abschied von Eleanor aus dem Bahnhof, vermutlich hatte sie sich diese Zeit von irgendwelchen Besorgungen abgespart, die sie für die Königin zu erledigen hatte. Die arme Ainsley hatte weniger Freiheit als Eleanor. Eleanor gelang es immerhin noch, einen Freundeskreis aufrechtzuerhalten – der aus jenen Freunden bestand, die sich nichts aus Geld machten. Nur die sehr Reichen oder die sehr Armen konnten so ungezwungen sein, deshalb bestanden Eleanors Freunde aus einer seltsamen und interessanten Mischung.
Eleanor hatte Ainsley noch einmal zugewunken und war gerade dabei, vom Bahnsteig in ihr Zugabteil zu steigen, als sie ausrutschte. Sie konnte das Gleichgewicht nicht halten und wurde in letzter Minute von einer großen,
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