Lord der toten Seelen: Royal House of Shadows (German Edition)
ihr Land für sich haben konnte.“
Sie konnte die drängenden Schreie nicht länger ertragen. Ihr Magen zog sich zusammen unter den Schrecken, die er in ihrem Kopf entstehen ließ, der ohnehin zu viel Schrecken gesehen hatte. Liliana stürzte sich auf ihn, presste ihr Gesicht in seinen Rücken und trommelte mit den Händen gegen den harten Panzer seiner Rüstung. „Aufhören, sonst koche ich nie wieder für Euch.“
Ein Augenblick des Zögerns.
Die Bilder verschwanden.
Frieden.
„Du wirst für mich kochen.“ Ein Befehl – aber sie hörte auch etwas in seiner Stimme, das fast wie Enttäuschung klang.
Blinzelnd fragte sie sich, ob er versucht hatte, ihr etwas zu zeigen, was ihm wichtig war, etwas, von dem er dachte, dass sie es
gern
sehen würde. Sicherlich nicht, denn er war der Lord der Schwarzen Burg, und doch … Er war allein. Ein Monster, das als letzte Bastion vor allen anderen Monstern stand. „Man sagt“, flüsterte sie, „dass es einst keinen Abgrund gegeben hat. Die Welt war unschuldig und ihre Bevölkerung, Alt und Jung, noch unverdorben.“
Er drehte sich zu ihr um. Seine Brauen hingen schwer über Augen, die wieder wunderschön wintergrün strahlten. „Du erzählst Märchen.“
„Vielleicht.“ Doch egal, was sie glauben wollte, in Wahrheit hatte sie zu viel gesehen, um nicht zu begreifen, dass es immer Leute geben würde, deren Seelen von Grund auf bösartig waren. „Ich kenne viele Märchen.“
Er legte den Kopf schräg. „Wie viele?“
„Viele“, wiederholte sie und sah in seinem interessierten Gesichtsausdruck eine Möglichkeit, den Jungen zu erreichen, der in diesem tödlichen Wächter lebte, der dort noch leben musste. Wenn sie sich irrte, wenn dieser Junge schon lange tot war, zerquetscht unter dem Gewicht der Jahre, unter der Rüstung, die der Zauber ihres Vaters auf ihn gelegt hatte und die seine Seele erkalten ließ, dann waren sie alle verloren. Ihr Vater würde für immer regieren, und Elden würde zu einem weiteren Abgrund werden.
Nachdem man ihr genug Zeit für eine Mahlzeit „gestattet“ hatte, fand sie sich in der Großen Halle wieder. Es war vielleicht eine halbe Stunde später, und sie fühlte noch immer Hunderte Blicke auf sich – wie an dem Tag, an dem sie erschöpft und desorientiert auf dem Marmorboden angekommen war. Doch als sie ihren Kopf mit steifem Stolz hob, bereit, einem Publikum entgegenzustarren, sah sie nur Leere. „Wer beobachtet uns?“
Der Lord der Schwarzen Burg drehte sich um. Er hatte bereits einen Stiefel auf die Stufen gesetzt, die zu seinem Thronsessel in der gleichen namensgebenden Farbe führten, der so hart und schmucklos war wie der Mann selbst. „Die Bewohner“, sagte er, als wäre das ganz selbstverständlich.
„Die Bewohner?“, hakte sie nach und kämpfte gegen den Drang, die Arme um sich zu schlingen. „Des Abgrunds?“ Die Legenden besagten, dass der Wächter trotz der gnadenlosen Berufung, die seine nächtliche Pflicht war, immer reinen Herzens sein musste. In diese uralte Legende hatte sie all ihre Hoffnung gelegt, aber wenn er es den schwärenden Seelen, die für den Abgrund bestimmt waren, erlaubte zu verweilen …
„Natürlich nicht.“ Sein grimmiger Blick ließ jedes Haar an ihrem Körper sich aufrichten. „Es gibt noch andere Seelen, die sich zu der Burg hingezogen fühlen.“
„Warum?“
„Sie kommen, und sie gehen nicht mehr.“ Die knappe Antwort verriet, dass sie mit ihren Fragen seine Geduld strapazierte. „Die Schwarze Burg heißt sie willkommen.“
Liliana spürte einen Hauch von Verständnis und fragte sich, ob sie mehr Verbündete haben könnte, als sie vermutete.
„Du wirst mir jetzt die Geschichte erzählen.“ Mit diesem Befehl setzte er sich in seinen Thronsessel.
Obwohl ihr die Haare noch zu Berge standen, stemmte sie die Hände in die Hüften und sagte: „Es wäre einfacher, wenn ich nicht brüllen müsste, mein Lord!“ Er saß erhöht und weit entfernt, wie ein arroganter Kaiser.
Er winkte sie zu sich. „Du darfst zu meinen Füßen sitzen.“
Liliana ließ die Hände von den Hüften sinken und ballte sie zu Fäusten. Ihr ganzer Körper erstarrte. Zu seinen Füßen sitzen? Wie ein Tier?
Nein.
Wenn ihr Vater sie ihr ganzes Leben nicht gebrochen hatte, würde es der Wächter des Abgrundes sicher nicht schaffen! Aber als sie ihren Mund öffnete, um ihrer Wut eine Stimme zu verleihen, spürte sie geisterhafte Finger auf ihren Lippen, hörte sie
fast
ein Flüstern.
Der Schock schnitt
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