Lord der toten Seelen: Royal House of Shadows (German Edition)
seinen Teller, ehe sie ihn mit einer Art Eintopf überhäufte, der voller verschiedener Gemüse zu sein schien, die ihn zu einem Sturm der Farben machten. „Wo ist das Fleisch?“
Seine seltsame kleine Gefangene stellte die Schüssel hin und verschränkte die Arme. „Das koche ich nicht. Wenn Ihr Fleisch wünscht, könnt Ihr Jissa darum bitten.“
Er war Lord der Schwarzen Burg und des Abgrundes. Er war nicht gewöhnt, dass man sich ihm widersetzte. Aber er war es auch nicht gewöhnt, Speisen vorgesetzt zu bekommen, die ihn sehnsüchtig auf den nächsten Gang warten ließen. Also kostete er den Gemüseeintopf auf Reis. Es war eine sämige Mischung voller Geschmack, die warm und befriedigend in seinem Bauch lag. Er aß auf und schob den Teller von sich. „Du wirst weiter für mich kochen.“
Ein kurzes Nicken – als hätte sie eine Wahl gehabt. „Ich hatte keine Zeit, einen richtigen Nachtisch zuzubereiten, mein Lord, aber ich hoffe, das hier reicht auch.“
Sie stellte einen Teller mit Obstscheiben vor ihn hin, saftig und frisch, und daneben einen Topf mit etwas Süßem und Zähflüssigem, dessen Duft ihn in der Nase kitzelte. „Was ist das?“
Ein kleines Lächeln. „Versucht es, mein Lord.“
Er war so lange nicht mehr auf irgendeine Weise angelächelt worden, dass etwas in ihm knackte und aufbrach, als er ihr ins Gesicht sah. „Nein, du wirst es mir sagen“, fuhr er sie grob an. Auf einmal fand er die Sache nicht mehr lustig.
Sie zuckte nicht einmal zusammen. „Honig mit ein wenig Vanille und Gewürzen. Manchmal nennt man es Nektar.“
Mehr, bitte!
Er schüttelte den Kopf und versuchte, sich von der seltsamen Kinderstimme zu befreien. Er kannte kein solches Kind, und die kleinsten Bewohner dieser Welt kamen nie durch die Pforte zum Abgrund. Sie hatten nicht die Zeit gehabt, so böse zu werden, dass man sie an diesen Ort der Folter und der Buße verbannen musste.
Mehr, Mama!
„Nimm das weg!“, befahl er und schob den Stuhl so heftig zurück, dass er auf den Boden fiel. „Und bring mir so etwas nie wieder.“
Seine Gefangene sagte nichts, während sie – mit Jissas Hilfe – die Reste der Mahlzeit abräumte. Mit langen Schritten ging er ans andere Ende der Großen Halle und benutzte die Macht dieses Ortes, um sich an der Wand über dem Thron emporzuheben. Von dort nahm er sich eine riesige Sichel, schwarz wie seine Rüstung. Ihre Klinge glühte weiß, sobald seine Hand sie berührte.
Er bemerkte, dass Liliana ihm zusah, wie er zu Boden schwebte und sich umdrehte, um in die kalte Dunkelheit zur Seelenjagd hinauszutreten.
Lilianas Blick verweilte auf der Tür, durch die der dunkle Lord verschwunden war. Das Echo des fallenden Stuhls hallte noch in ihren Ohren. Etwas in ihm hatte sich an die Süßigkeit erinnert, die von den Kindern in Elden so geliebt wurde. Etwas in ihm
wusste es
.
„Liliana.“ Jissas Hand zog an ihrem Arm. „Gehen, gehen, wir müssen gehen. Nicht schön zu sehen, wie die Seelen in den Abgrund gezerrt werden. Immer versuchen sie zu entkommen. Betteln und Flehen und Feilschen.“
„Wo ist die Pforte?“
„Unten, unter unseren Füßen. Tief, tief unter der Burg.“
Liliana betrachtete den schwarzen Marmorboden und fragte sich, was sie finden würde, wenn sie ihn aufbrach. Wahrscheinlich nichts als Stein. Denn man sagte, dass nur die schwärzesten Seelen und der Wächter des Abgrundes selbst die schrecklichen Ödlande voller Schreie und Schrecken sehen konnten. Und das war der Ort, dem sich der jüngste Königssohn von Elden jede Nacht stellen musste. Dieser Ort war es, der ihn zu dem machte, was er war.
„Jetzt essen wir“, unterbrach Jissas helle Stimme ihre trüben Gedanken. „Du und ich und Bard, wir essen dein leckeres Essen.“
„Und die anderen Diener?“, fragte Liliana, nachdem sie den Tisch in der Großen Halle leer geräumt hatten und zurück in die Küche gegangen waren.
„Sind wieder ins Dorf zurück.“ Runde Augen glänzten vor untröstlicher Traurigkeit. „Nach Hause gegangen.“
Lilianas Hass auf ihren Vater verstärkte sich noch, falls das überhaupt möglich war. „Setz dich“, sagte sie. „Iss. Ich bin gleich wieder da, nachdem ich das hier“, sie nahm eine Tarte, „einem anderen Freund gebracht habe.“
Als Bard sich ebenfalls erhob, sagte Liliana: „Wohin sollte ich gehen, Kerkermeister? Und was würde ich zu stehlen wagen?“ Damit schritt sie durch die Tür und hinab in den Kerker. Die Tür zu ihrer Zelle war geschlossen,
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