Lord der toten Seelen: Royal House of Shadows (German Edition)
rang.
Sie dachte an die Geister, die beobachteten, zuhörten … vielleicht berieten?
„… große Nase.“
„Habe dir doch gesagt, das ist nicht seine Mätresse.“
Die gezischten Kommentare von zwei vorbeigehenden Frauen rissen Liliana in die Gegenwart zurück, und sie spürte, wie ihr Gesicht sich rötete. Auch wenn sie weglaufen wollte, tat sie so, als hätte sie nichts gehört, und wartete, bis die Frauen abgelenkt waren, ehe sie sich die beiden ansah.
Eine sah mit ihren goldenen Haaren aus wie eine Prinzessin, zierlich und zerbrechlich und puppenhaft. Nach ihren Kleidern zu urteilen, war sie die Tochter eines wohlhabenden Ladenbesitzers. Ihre Freundin war größer, schlanker und eleganter. Prächtige schwarze Locken hielt sie mit Schildpattkämmen aus ihrem Gesicht, und in ihren Augen funkelte das Selbstbewusstsein einer Frau, die wusste, dass sie nicht nur atemberaubend schön war, sondern auch sinnlich.
„Liliana.“
Sie drehte sich zu Jissa um. „Gibt es viele schöne Frauen hier im Dorf?“
In die Augen ihrer Freundin trat eine unerwartete Wildheit, und ihre singende Stimme geriet aus dem Takt. „Hör nicht auf diese hinterhältigen Weiber. Du bist es, mit der er spricht, nicht die.“
Aber nur, wurde Liliana schweren Herzens klar, weil deren Eltern es ihnen wahrscheinlich nicht erlaubten, den Lord der Schwarzen Burg zu treffen. Nein, das würden sie erst erlauben, wenn er bereit war, ein Angebot zu machen. Also blieb ihm nur sie, ein hässliches Ding mit einer riesigen Nase, das humpelte und auch sonst nicht elegant war.
Das hatte sie immer gewusst und war bereit gewesen, ihren Stolz herunterzuschlucken im Tausch gegen ein paar Augenblicke des Glücks, aber jetzt hatte sie die Dorffrauen gesehen, schöne Frauen voll Sinnlichkeit und Raffinesse. Frauen, die ihm aufgefallen sein mussten. Ihr wurde klar, dass auch ihm ihre Mängel bewusst sein mussten.
Ihr Herz brach mit einem hörbaren Knacken.
Von der höchsten Zinne der Schwarzen Burg aus beobachtete der Lord, wie Liliana aus dem Dorf zurückkam. Sie lachte über etwas, was Jissa gesagt hatte. Er verzog das Gesicht. „Warum lacht sie?“
Bard trat schwerfällig an seine Seite, öffnete den Mund, seufzte. Für seine Verhältnisse war das ein regelrechter Gefühlsausbruch. Der Wächter des Abgrundes wartete. Er wusste, dass der Mann etwas zu sagen hatte, aber Bard ließ sich Zeit. Bard ließ sich immer Zeit, so lange, dass man ihn im Dorf für einen riesigen Taubstummen hielt. Es diente ihnen beiden zum Vorteil, dieses Missverständnis nicht aufzuklären.
„Frauen“, sagte er schließlich mit einer Stimme, die tief und grollend war wie das Herz eines Berges, „lachen. Jissa lacht.“
Der Lord hatte Jissa nie als Frau gesehen. Sie war einfach die liebe Jissa, die zusammenzuckte, wenn er zu laut redete, und lächelte, wenn Bard ihr den Rücken kehrte. Er wollte Jissa keine Angst einjagen, aber sie war so schreckhaft, dass es manchmal aus Versehen geschah. Bard sah ihn dann immer anklagend aus seinen tiefen schwarzen Augen an.
Liliana andererseits … ja, sie war eine Frau. Sein Körper erhitzte sich in seiner schwarzen Rüstung, als er daran dachte, wie sie sich in der Küche angefühlt hatte, ganz weiche Kurven und Wärme. Ihre sinnliche Form zu erforschen, während sie nackt vor ihm lag, war nicht länger nur erotisches Begehren, sondern ein brennender Hunger. Er schaute auf seine Hand hinab, bewegte die Finger und beobachtete, wie der Panzer sich von den Knöcheln zurückzog bis auf die Handgelenke.
„Rüstung“, erklang Bards Bassstimme. „Bewegt sich.“
„Ja.“ Er konnte Liliana nicht mit der Rüstung an seinen Händen anfassen – es könnte sie verletzen. Also hatte sie sich zurückgezogen. „Sie sind am Burgtor angekommen.“
In dem Augenblick blieb Liliana stehen und sah nach oben. Er war zu weit weg, um den Ausdruck in ihren Augen zu erkennen, aber an ihrem Gang war etwas seltsam Steifes, als sie weiterging, und ihre Schultern hingen herab.
Niemand lachte mehr.
Er hatte in seinem Leben noch nicht mit vielen Frauen gesprochen. Die im Dorf quietschten und kicherten, wenn er sich näherte. Das nervte ihn. Wenn er genervt war, verdüsterte sich seine Miene, und er machte ihnen Angst. Gut so – dann blieben sie ihm vom Leib. Und wenn sie sich duckten, wenn sie an ihm vorbeigingen, war es ihm egal. Aber diese Frauen waren nicht Liliana. „Siehst du das?“
Bard sagte nichts, sein Blick war ganz auf Jissa
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