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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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nähertrat. Ich ging langsam rückwärts und stieß unvermittelt gegen den Kordon aus erstarrten Menschen. Die Körper bildeten eine undurchdringliche Barriere, ließen sich kein Quentchen zur Seite bewegen. Sie waren massiv wie Statuen.
    »Der Fluß der Zeit«, sprach Nikobal, »bestimmt die Beschaffenheit. Aus Fleisch wird Stein, aus Stein wird Licht.« Er lächelte süffisant. »Wir haben dich bereits vermißt, Stan. Einige von uns befürchteten schon, dir sei etwas zugestoßen.«
    Auf Nikobals Kopf und in seinem Gesicht wuchs kein einziges Haar. Seine Haut war pigmentlos weiß und verlieh seinem Kopf selbst in menschlicher Gestalt etwas Mondhaftes. Schwarze Pupillen in großen, runden Augen fixierten mich, seine Nase war platt und winzig, ebenso sein Mund aus zwei fleischigen, zinnoberroten Lippen. Noch nie hatte ich einem Lord Auge in Auge gegenübergestanden. Er weiß es! hämmerte eine Stimme in meinem Kopf.
    »Ich habe dich erwartet«, sprach Nikobal. »Aus gutem Grund, wie du dir sicher denken kannst. Jeder Weg hat einen Anfang und ein Ende.« Er verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und streckte mir seinen Wanst entgegen, als interessiere ihn die Waffe in meiner Hand überhaupt nicht. Wer von uns beiden war in diesem Augenblick der Hochmütigere, wer der Törichtere?
    »Ich habe keine Lust, mit dir zu diskutieren«, sagte ich. Nervös suchte ich nach einer Möglichkeit, um den Menschenkordon zu durchbrechen. Es schien unmöglich, ohne über sie hinwegzuklettern. Wo sie mir nicht den Weg versperrten, erhob sich die Monitorkuppel. Ich saß in der Falle.
    »Du mußt wissen«, entgegnete der Lord in einem Tonfall, der mich stark an Gamma erinnerte, »daß ich nicht dein Feind bin, Stan. Keiner von uns.«
    »Stehenbleiben, habe ich gesagt!« rief ich, als Nikobal erneut einen Schritt näher trat. Die Browning zielte genau zwischen seine Augen.
    »Glaubst du wirklich, du könntest mir damit etwas anhaben?«
    »Zwing mich nicht, es auszuprobieren.«
    Nikobals Lächeln drängte mich mehr und mehr in die Defensive. Er wußte genau, daß meine Chancen, ihn mit einer Projektilwaffe zu verwunden, gleich Null waren. Dennoch behielt ich sie im Anschlag, aus Wut über meine nahezu aussichtslose Lage, aus Angst vor Nikobal und weil sie mir zumindest ein geringes, wenn auch zweifelhaftes Gefühl der Sicherheit verlieh. Aus dem Augenwinkel heraus zählte ich die Schritte bis zum Ausgang.
    Etwas hielt mich davon ab, den Trumpf in meiner Jackettasche auszuspielen. Die Situation war kritisch, schien aber noch nicht bedrohlich. Ich hütete mich, Nikobal zu unterschätzen. Er wirkte nicht wie ein wildes Tier, das sich in der nächsten Sekunde auf mich stürzen und mich zerfleischen würde. Ich wußte zu wenig über das Wesen der Lords. In einer solchen Situation hatte ich mich nie zuvor befunden, hatte alles darangesetzt, jede direkte Konfrontation mit ihnen zu vermeiden. Gamma war nur eine Stimme im Radio, körperlos, aber dennoch in der Lage, unmittelbar auf diese Welt einzuwirken, wie mir der Vorfall hinter der letzten Zonengrenze verdeutlicht hatte. Trotzdem ließ er sich mit einem simplen Handgriff zum Radio abschalten, wenn es mir zu bunt wurde.
    In den Augen der wenigen Lords, denen ich in den zurückliegenden Stationen begegnet war, war ich nicht mehr gewesen als einer ihrer vermeintlichen Schützlinge. Ich hatte nie ein Wort mit ihnen gewechselt, war ihnen konsequent aus dem Weg gegangen. Nikobal hingegen wußte, daß er in mir keinen Klon vor sich hatte. Zum ersten Mal standen sich Mensch und Lord, Opfer und Täter, gegenüber!
    Nikobal atmete tief durch, griff hinter sich und zog wie aus dem Nichts einen wuchtigen Sessel zu sich heran. Er klopfte ihn ab, setzte sich seufzend in die königsblauen Polster. »Nimm doch Platz, Stan«, forderte er mich auf und deutete neben mich. Dort stand ein zweiter Sessel, oder weiß der Teufel, was es war. Vielleicht nur ein weiteres Lord-Gezücht in Möbelform. Wenn ihre Pflanzen den Job von Stationswächtern übernehmen konnten, warum dann nicht auch ihre Sessel?
    »Danke, ich stehe lieber«, entschied ich. Nikobal runzelte brüskiert die Stirn. Gewiß hatten die lückenhaften Informationen aus Prills Implantat die Lords nervös gemacht. Es mußte unerträglich für sie sein, daß etwas auf dieser Projektebene nicht ihrer Kontrolle unterlag und in Gamma zudem ein mächtiger Gegner hinter den Kulissen seine Fäden zog. Falls Nikobal tatsächlich vorhatte, meinem Treiben ein

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