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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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solltest, diese Station mit Prill zu verlassen, kämst du nicht weit«, sagte Nikobal. »Ihr würdet ständig im Kreis irren, und die Läufer würden überall auf euch warten. Stell dir eine zweidimensionale Welt vor, Stan. Eine Ebene. Auf dieser Flachwelt befindet sich ein Kreis, und in diesem Kreis hält sich ein zweidimensionales Wesen auf. Es wird ihm ohne dritte Dimension niemals möglich sein, den Kreis zu verlassen, es ist auf ewig darin gefangen. Das unglückliche Wesen in dem Kreis bist du, Stan. Der Kreis ist diese Ebene. Nur mit meiner Hilfe gelangst du wieder nach draußen …«
    »Schluß damit!« beendete ich Nikobals Geschwafel. Ich zielte mit dem Strahler auf einen der beiden Sessel und schickte ihn ins Fauteuil-Nirvana. Die Waffe wieder auf den Lord richtend, erklärte ich: »Nur für den Fall, daß du glaubst, ich könne damit nicht umgehen. Warum bist du so nervös? Fürchtest du dich vor Babalon? Für jemanden, der behauptet, eins mit der Zeit zu sein, ist es ein Kinderspiel, oder nicht? Du müßtest doch wieder hier sein wie der geölte Blitz.«
    Nikobal glänzte durch Selbstbeherrschung. »Wäre Zynismus nicht eine rein menschliche Tugend, würde ich behaupten, wir gehörten der gleichen Rasse an«, entgegnete er kühl. »Aber das würdest du mir nicht glauben.«
    Ich schnaubte verächtlich. »Ganz gewiß nicht. Weißt du, was ein Dichter unserer Welt einmal über Zyniker geschrieben hat? Er schrieb, sie wären Schufte, deren mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollen.«
    »Ambrose Bierce«, kommentierte Nikobal. »Ich weiß über deine Welt mehr, als du glaubst.« Mit diesen Worten trat er rückwärts in die Sphäre und war verschwunden.
    Es hätte mich interessiert, was für einen Parcours das Sublime seinem Alienhirn entlockte. Zu meiner Enttäuschung blieb die Monitorkuppel weiß, kein Bild eines wasserballtretenden Lords leuchtete auf.
    Schade eigentlich.

 
Isadom 3
     
     
    LEERE. SEIT STUNDEN liegt sie wach, starrt teilnahmslos auf die nahe Wand. Manchmal berührt sie sie mit den Fingern, streicht darüber, als wolle sie sich vergewissern, daß dort tatsächlich eine Wand ist. Sie wiederholt die Berührung, beinahe stereotyp, sobald die strukturlose Oberfläche vor ihren Augen verschwimmt und die Angst sie überwältigt, daß sich alles um sie herum in einem formlosen Nichts auflösen könnte. Die Wand widerspiegelt die Leere in ihr. Sie zu berühren fühlt sich an wie das Betasten eines Fremden, einer Leiche, kalt und bereits starr, blutleer weiß. Ihre Gedanken ergeben keinen Sinn, sind ein ewig kreisender Malstrom aus Erinnerungen, menschlichen Gliedmaßen, enthaupteten Körpern, Schrotteilen und mißratenen Tönen. Die Töne erzeugen Echos, welche selbst Echos erzeugen, die ihrerseits Echos erzeugen … Sie ist Teil des Wirbels, treibt kraftlos in ihm, in seiner Paraphonie aus Geräuschen, Wortfetzen, Schmerzen, immer im Kreis, in jede Richtung. Sie hat das Gefühl, überallhin gleichzeitig blicken zu können und den gesamten Raum zu erfüllen. Ihr Körper ist riesenhaft aufgebläht und in die Form des Zimmers gepreßt, schwer wie Blei, im nächsten Moment wieder federleicht. Wenn sie die Augen für kurze Zeit schließt, beginnt dieser Körper zu pulsieren wie ein kolossales Herz, das den Wahnsinn durch die Welt der Lichterstimmen pumpt. Nur die Berührung der Wand, irgendeine Berührung, eine Bewegung, die sie vollführt, reißt sie für Sekunden aus dem Wirbel, gibt ihr das Gefühl, real zu sein und einen menschlichen Körper zu besitzen.
    Sie zeichnet Muster an die Wand, kann das Gezeichnete nicht erkennen und verwischt es wieder. Die Wand sieht aus wie zuvor.
    Das Licht spricht zu ihr. Sie hat ihm den Rücken zugewandt, ignoriert seine Stimme. Es sind tröstende Worte, Phrasen, leeres Geschwätz, findet sie. So leer wie dieser Raum, die Scheinwelten, das Licht und sie selbst. Selbst die Decke, die sie an sich drückt, ist mit Leere gefüllt. Die Leere lähmt sie. Die Erinnerungen lähmen sie. Die Stimme macht sie wütend. Sie spricht von Natur, erzeugt Farben, um sie aufzuheitern. Fick dich, Licht! schreibt sie mit dem Finger an die Wand.
     
    Endlich allein. Sie hat die Stimme fortgeschickt, irgendwohin; in ihr Inneres, ins Dahinter, was auch immer jenseits dieser Wände liegen mag. Eine Welt der Stimmen womöglich, eine Stadt aus Licht, von Stimmen bevölkert. Das Licht hat ihren Wunsch respektiert und ist erloschen. Zum ersten Mal.
    Sie

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