Lord Gamma

Austausch anbieten, aber du mußt seine Materie selbst durchleben.«
    Sie stellt die Tasse, an der sie genippt hat, zurück aufs Tablett. »Und das bedeutet?«
    »Du wirst dich erst am Ende wieder an alles erinnern können. Die Erfahrung, die du gewinnst, wirst du behalten. Sie wird die ursprüngliche Erinnerung restlos ersetzen. Während dieser Zeit wirst du dich weder an mich, noch an Stan oder diesen Ort hier erinnern können. An nichts mehr in deinem Leben. Alles wird mit dieser Erfahrung beginnen, ein unbeeinträchtigtes und unbeeinflußtes Erlebnis. Du wirst aus dem Nichts kommen und drei Stunden existieren, um Eindrücke zu sammeln. Eine absolut reine Präsenz.« Das Licht läßt seine Worte wirken, gibt ihr Zeit nachzudenken. Dann fragt es: »Wünschst du das?«
    Sie schluckt. »Werde ich allein sein?«
    »Das weiß ich nicht, Prill. Ich entlasse dich in eine Dimension, die nur für dich besteht. Ich kann dir nicht einmal versprechen, daß du ein Mensch sein wirst. Vielleicht liegst du nur für ein paar Stunden als Stein an einem Meeresstrand und wirst von Wellen umspült.« Einige Sekunden Stille. »Wünschst du es noch immer?«
    »Ja.«

 
     
     
VIERTER TEIL
     
Ebenen

 
Alphard 11
     
     
    DIE VORNEHME GESELLSCHAFT erwachte wieder zum Leben. Aus ihrer Erstarrung erlöst, bestaunte sie meinen plötzlichen Standortwechsel und den übriggebliebenen, für sie wie aus heiterem Himmel aufgetauchten Sessel. Das Durcheinander aus Stimmen und Gebärden war ein untrügliches Zeichen dafür, daß sich Nikobal in seinen Babalon-Vergnügungspark verabschiedet hatte oder zumindest keinen Einfluß mehr auf diese Ebene besaß.
    »Hinlegen!« rief ich und schwenkte die Strahlenwaffe im Kreis, als die allgemeine Unruhe überhand nahm. »Auf den Boden allesamt, na los!« Niemand reagierte, man sah sich nur ratlos oder verärgert an. Hatte die Browning noch Wirkung gezeigt, wunderte man sich nur über das neue, seltsame Objekt in meiner Hand. Ich hätte genauso gut mit einem Sodaspritzer auf sie zielen können.
    »Kommen Sie zur Vernunft, Stan.« Frederick hob beschwichtigend die Hände. »Es gibt keinen Grund, überzureagieren.«
    »Ich verlange nur Prill«, sagte ich. »Und schon bin ich fort.«
    »Fort?« staunte Frederick.
    Statt einer Antwort zielte ich mit dem Strahler auf seine Krawatte.
    »In Ordnung«, willigte er ein. Sein Blick huschte hin und her. Wahrscheinlich hoffte er, daß Nikobal endlich in das Geschehen eingreifen würde. »Gar kein Problem. Wir holen sie herauf. Aber nun beruhigen Sie sich. Wir werden doch nicht gleich die Jungfrau zum Sarg machen, nicht wahr? Uns allen brennt hier unten irgendwann mal die Sicherung durch. Wir müssen das durchstehen.« Während er redete, gab er einigen seiner Ordnungskräfte heimlich Fingerzeichen. Sie begannen, sich mir in einer Art und Weise zu nähern, als wollten sie ein wildes Tier einfangen. Wütend senkte ich den Strahler und vaporisierte den Sessel neben Frederick. Zu spät sah ich, daß er sich an der Lehne abstützte. Plötzlich fehlte ihm die linke Hand. Er schrie auf, und ich mußte mit ansehen, wie die verzehrende Energie, die seinen Arm erfaßt hatte, sich in Sekundenschnelle über seinen gesamten Körper ausbreitete. Einen Lidschlag später gab es ihn nicht mehr. Jene, die in seiner Nähe gestanden hatten, wichen entsetzt zurück.
    Ich stand starr, die Sicherheitsgardisten ebenso. Alle sahen auf die Stelle, an der sich vor wenigen Augenblicken noch ein Sessel und ein Mensch befunden hatten. Die Strahlenwaffe wog auf einmal so schwer wie ein Amboß, zwang meinen Arm nach unten. So schreckensbleich wie die Bewohner mußte auch ich sein. Nun wußte ich, warum mir Gamma geraten hatte, gebührenden Abstand zu meinem Ziel zu wahren. Der Strahl der Waffe wirkte auf die Klone wie die Barriere zwischen den Zonen. Vielleicht war es sogar dieselbe zerstörerische Energie. Ich bebte innerlich. Es war nicht meine Absicht gewesen, Frederick zu töten. Meine Unachtsamkeit hatte ihn das Leben gekostet; oder vielleicht doch seine eigene Sturheit und Blasiertheit? Verdammter Hurensohn, was stand er auch dort herum? Ich bereute, geschossen zu haben, und war zugleich wütend auf ihn. Was hatte er, ein Klon, schon zu gewinnen gehabt? Immerhin bemühte ich mich, seinem Original den Arsch zu retten, so wie allen, die mich in diesem Augenblick anglotzten. Wenn ich ihm wieder begegnete, würde ich mich bei ihm entschuldigen. Augen zu und durch. Es war nicht mehr zu