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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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bleibt weiterhin liegen, gelähmt von der Angst, ihr Kopf könnte auf dem Kissen zurückbleiben und ihren sitzenden Torso neben sich erblicken, sobald sie sich aufrichtet. Ständig befühlt sie ihren Hals, sucht den Schnitt, den ihr der Läufer zugefügt hatte, ehe er mit ihrem Kopf in seinen Zangen die Straße hinaufjagte. Sie fühlt keine Wunde, sieht kein Blut an den Fingern, wenn sie ihre Hand vors Gesicht hebt. Sie hat Angst, nicht mehr atmen zu können, wenn sich ihr Haupt vom Körper trennt, fürchtet, der Schmerz könne zurückkehren, sobald sie sich bewegt und ihr Kopf haltlos zur Seite rollt.
    Pausenlos versucht sie, sich bewußt zu machen, daß es nur eine Erinnerung ist, doch die Erinnerung ist stark, stärker als die Welt um sie herum, eindringlicher als die Stimme, die ihr zuredet: Du bist unversehrt, du lebst. Verliere nicht den Kopf, Prill. Verliere jetzt um Himmels Willen nicht deinen Kopf!
    Essensgeruch dringt in ihre Nase. Er ist also wieder da, dieser leuchtende Quälgeist, und versucht es jetzt mit einem Köder. Sie hat den Hunger ignoriert, nun fordert ihr Magen mit einem schmerzhaften Krampf sein Recht. Ehe sie in der Lage ist, die Methoden des Lichts zu beschimpfen, erklingt Musik.
    Statt sich zu beruhigen, fühlt sie sich von den Klängen und dem Essensgeruch provoziert. Mit einer Hand ihren Hals umklammernd, wirft sie sich im Bett herum, stößt die Bettdecke von sich. Das Licht ruht an seinem gewohnten Platz, ein wenig milder, unaufdringlicher. Vor ihm steht auf einer kleinen Anrichte ein Tablett mit aufgetragenen Speisen.
    »Laß mich endlich allein, du Scheusal!« Sie greift eines der Kissen, wirft es zornig in Richtung des Lichts. Es trifft auf den Tisch, reißt das Tablett mit sich, verschwindet dann im Leuchten. Essen und Gedeck stürzen scheppernd zu Boden, dampfend heiße Flüssigkeit ergießt sich aus einer Kanne über den Teppich.
    »Geh fort!« schluchzt sie.
    Das Licht schweigt, als sei es betroffen. »Ich kann Formen bilden, aber ich besitze keine Form«, spricht es dann. »Ich kann Körper erschaffen, aber ich bin kein Körper. Du bist in mir. Wie kann ich mich aus mir selbst zurückziehen?« Es gleitet näher, verharrt unmittelbar vor dem Bett. »Ich bin alles, was du wahrnimmst, Prill. Du schläfst in mir, du deckst dich mit mir zu. Du ißt und du trinkst mich, du wäschst dich mit mir. Jede Pore deiner Haut atmet mich, ich erfülle dich mit jedem Atemzug, den du tust. Wenn du sprichst, formst du mich zu Tönen. Ich bin alles, was dich am Leben hält. Wie könnte ich dich verlassen, ohne dich zu töten?«
    Sie sieht stumm ins Licht, wendet dann ihren Blick ab. »Du hättest mich warnen müssen.«
    »Das habe ich.«
    »Du sagtest, es würde sehr weh tun«, entgegnet sie, wobei ihre Stimme lauter und schriller wird. »Aber nicht, warum!« Sie rutscht über das Bett, verkriecht sich wieder unter der Decke, murmelt darunter hervor: »Wie konnte mein Kopf so lange am Leben bleiben …?«
    »Das Implantat war weiterhin funktionsfähig. Es übermittelt so lange Informationen, bis es deaktiviert wird.«
    Minutenlang herrscht Stille.
    »Ich will es vergessen«, flüstert sie kaum hörbar.
    »Vergessen?« Die Stimme klingt überrascht. »Wie meinst du -«
    »Bitte!« schneidet sie ihm das Wort ab, wirft die Decke von sich. »Ich will nicht mehr daran denken müssen, verstehst du? Nie wieder!«
     
    Das Licht hat neue Speisen und Getränke aus dem Nichts gezaubert, dieselben, die das Kissen vom Tisch geschleudert hat. Sie ißt ohne Hemmungen, von allem gleichzeitig; Nüsse, Früchte, gebratenes Fleisch, Salat, gebackene Kartoffeln, trinkt dazu Saft und Tee.
    »Besteht das ebenfalls aus diesem Plasmazeugs?« fragt sie kauend.
    »Ja.«
    Sie wendet mit der Gabel ein Stück Fleisch hin und her, betrachtet es ausgiebig, steckt es dann in den Mund. »Solange es schmeckt, wonach es aussieht …« Sie zuckt die Achseln. »Was ist nun?«
    »Es gibt eine Möglichkeit«, offenbart die Stimme. »Ein Austausch der Erinnerung.«
    »Eine neue, die sich über die alte legt?«
    »Nein, ein Transfer. Ich werde das, was der Kopf deines Klons wahrgenommen hat, aus deinem Gedächtnis löschen. Das bedeutet jedoch, daß du für mehr als drei Stunden einen vollständigen Verlust deiner persönlichen Erinnerungen erfährst. Es entspricht der Zeit, die du von der Attacke des Läufers bis zu dessen Erreichen der Station und der anschließenden Untersuchung des Implantats wahrgenommen hast. Ich kann dir diesen

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