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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Hoffentlich gab es für die Ordnungshüter von dort hinten aus keine Möglichkeit, Nikobal zurückzuholen. Zur Babalon-Konsole traute sich keiner von ihnen.
    Auch im Feld der übrigen Bewohner hatte sich nahezu ein Drittel wieder auf die Knie erhoben, sie unternahmen aber keine Anstalten näherzukommen. Ich ließ sie gewähren, behielt ihr Treiben jedoch im Auge. Genug der Unterwerfung und Demütigung. Hauptsache war, sie kamen nicht näher. Ich warnte die Anwesenden noch einmal laut vernehmbar. Man tauschte Blicke, machte Gesten, die Zurückhaltung demonstrieren sollten.
    Sebastian wirkte ein wenig entspannter, obwohl ihm Tränen in den Augen standen. »Scheiße, Mann!« fluchte er heiser. »Deine Braut hat sie wohl nicht mehr alle!« Er massierte seinen Unterleib, sah teils wütend, teils wehmütig zu uns herüber. »Denke, wir werden uns nicht mehr wiedersehen, was?«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Falls doch, trete ich dir zur Begrüßung in die Eier. Das schwöre ich dir!«
    »Deinen Humor wirst du brauchen. Nichts für ungut, aber ich denke, wir sind quitt.«
    »Warte«, rief er, als ich Prill auf die Beine half. Ich rechnete mit eine Entschuldigung, doch statt dessen fragte er: »Was war in den Schildkröten-Panzern?«
    Ich sah hinüber zur Babalon-Kuppel, wo sich zwischenzeitlich über ein Viertel der Bewohner zu einer Gelegenheits-Resistance gruppiert und damit begonnen hatte, die Liegenden in den hinteren Teil des Saales ›zu retten‹. Solange sie dort blieben, war ich zufrieden. Es sein denn, es existierte ein zweiter Ausgang jenseits meines Blickfeldes, den ich bisher nicht bemerkt hatte. Dann erwartete mich vor der Hauptpforte womöglich eine Überraschung. Ich drückte die Tür einen Spalt breit auf. Der Korridor war leer und ruhig.
    »Sarcophaga«, sagte ich nach langem Zögern.
    »Was für ein Zeug?« fragte Sebastian.
    »Fleischfliegen-Eier. Die Cabaitre-Indianer fangen Fleischfliegen und pressen sie aus. In jedem Weibchen stecken gut zwei Dutzend Eier, die in speziell präparierten Gefäßen gesammelt werden. Streicht man sie in offene Wunden, schlüpfen bald Hunderte winziger Larven und beginnen zu fressen und zu fressen und zu fressen … In weniger als zwei Tagen sind sie über einen Zentimeter lang. Durch die Wunden werden immer mehr Fliegen angelockt, die ihre Eier ablegen.« Ich zog mein Hemd aus der Hose und entblößte meinen Oberkörper. Die Narben auf ihm waren fast zwei Zentimeter breit. »Hätte mich nach drei Tagen nicht eine Milizpatrouille gefunden und sofort ins Krankenhaus nach Puerto Limón geschafft, hätten mich die Viecher bei lebendigem Leib aufgefressen.« Ich stopfte das Hemd wieder in die Hose. »Ende der Geschichte«, sagte ich.
    Prill, die ebenfalls einen Blick auf meinen Körper hatte werfen können, sah schockiert aus. Nachvollziehbar, denn sie kannte mich ohne Wundmale. Die körperliche Unversehrtheit war das einzige Los, das ich meinen Klonen neidete.
    Im selben Augenblick stöhnten alle Bewohner kollektiv auf und griffen sich wie in einer jahrelang einstudierten Geste der Verzweiflung an die Köpfe. Sie schrien nicht, sondern seufzten nur verhalten, als erleide die gesamte Kolonie einen Migräneanfall. Mein erster Gedanke, der theatralische Vorgang wäre Teil eines Ablenkungsmanövers, das von den Personen hinter der Kuppel ausgebrütet und von einem zum anderen weitergeflüstert worden war, wurde Sekunden später ad absurdum geführt.
    Die Körper der Kolonisten glühten auf wie Tausend-Watt-Birnen. Ich schloß geblendet die Augen und wandte mich ab. Das gleißende Licht erlosch ebenso plötzlich, wie es zu strahlen begonnen hatte. Als ich die Augen wieder öffnete, war der Saal bis auf Prill und mich leer. Keine Asche, keine Kleidungsreste, kein verkohltes Fleisch oder Knochen. Auf dem Saalboden funkelten dafür Hunderte chromglänzender, kreisrunder Plättchen, die verstreuten Münzen glichen. Aus jedem von ihnen wuchsen unzählige mikroskopisch feiner, kurzer Metallhärchen. Es waren Implantate.
    »Was – hast du getan?« stotterte Prill entsetzt.
    Ich starrte den Strahler in meiner Hand an. »Nichts«, flüsterte ich. »Ich schwöre es!«
     
    Auch Stans Quartier war leer, wie wir nach einer raschen Kontrolle feststellten. Mir ging es in erster Linie um meine Kleidung, während es Prill so vorkommen mußte, als wäre Stans Unterkunft die letzte einer zufällig gewählten Reihe von Quartieren, die wir kontrollierten. Zoë und mein Klon waren ebenso verschwunden

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