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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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dabei mit der Browning herum. Die Menschen robbten beiseite wie träge Raupen und schufen einen schmalen Korridor. Ich hoffte, Sebastian hatte nicht vor, uns an die Oberfläche zu begleiten. Jedenfalls machte er sich bei seinen Mitbewohnern augenblicklich recht unbeliebt.
    Für eine Sekunde spielte ich mit dem Gedanken, die Babalon-Kuppel zu zerstören, um Nikobal die Rückkehr zu verwehren. Aber dann würden die Klone womöglich für immer in der zweiten Ebene festsitzen – oder sogar getötet werden. Noch immer war ich mir nicht schlüssig, ob ihre Babalon-Körper real waren. Die Wunden an meinem Arm sprachen dafür, die körperliche Verfassung der Spieler, welche aus der zweiten Ebene zurückkehrten, dagegen. Vielleicht waren sie beides zugleich. Schrödingers Katze ließ grüßen. Ich unterdrückte den Zerstörungsimpuls und konzentrierte mich darauf, Prill bei ihren hölzernen Gehversuchen sicher durch den Saal zu geleiten und zu verhindern, daß sie über Köpfe, Arme oder Beine stolperte. Als ich merkte, daß sie zusammenzuklappen drohte, trug ich sie den Rest des Weges bis zum Ausgang, begleitet von der Angst, einige der Liegenden könnten sich zu Draufgängern berufen fühlen und meine Füße packen. In unserer Nähe blieb es ruhig, doch weiter hinten im Saal, wo sich die Bewohner sicherer fühlten, entstand Unruhe.
    Sebastian wartete an der Flügeltür, Tatendrang im Gesicht. Sollte die Räuber-und-Gendarm-Geschichte, die er mir von sich erzählt hatte, wahr sein, befand er sich ganz in seinem Element. »Wie geht’s weiter?« fragte er. Ich erklärte es ihm. Er schaute recht bedröppelt drein.
    »Du würdest es nicht überleben«, sagte ich, nachdem ich Prill wieder zu Boden gelassen hatte. »Zu Fuß könntest du nie eine Ortschaft erreichen, und im Wagen kann ich dich nicht mitnehmen.«
    »So?« Ich konnte zusehen, wie sein Enthusiasmus verflog. Ein trotziger Ausdruck trat in sein Gesicht. »Gibt es keinen Platz für drei?«
    »Doch. Aber nach neunzig …«
    Sebastian ließ mich nicht ausreden. Blitzschnell packte er Prill, riß sie aus meinen Armen zu sich heran und zielte mit der Browning auf mich. »Das Mädchen und du«, zischte er. »Oder du und ich? Oder sie und ich? Ja, das gefällt mir am besten. Was meinst du, Stan?« Sein Arm schwenkte zur Seite, die Waffe in seiner Hand krachte zweimal hintereinander. Schreie ertönten. In der Nähe der Monitorkuppel, wo sich mehrere Bewohner erhoben hatten, griff sich ein Mann an die Schulter und sank zu Boden. Die andere Kugel traf die Kuppel, ohne eine Wirkung zu erzielen. Eilig warfen sich alle wieder hin, jeder darum bemüht, hinter seinem Vordermann Deckung zu finden.
    »Mach keinen Blödsinn«, versuchte ich Sebastian zu beruhigen, als er erneut auf mich zielte. »Sie werden dich wieder einfangen. Eher noch wirst du sterben.«
    »Sie? Wer sind sie? Eine neue Masche von dir?« Ich blieb ihm die Antwort schuldig. »Keine Sorge, Stan«, versicherte er. »Ich hatte ein gutes Training in Babalon. Es gab unzählige Situationen wie diese hier. Aber ob Spürhunde, Helikopter oder Bullenschwärme, ich bin ihnen immer entwischt.« Ich hatte den Strahler halbherzig erhoben. Sebastian grinste nur, wenn auch leicht verunsichert. »Sie und ich«, zischte er, während er mit Prill rückwärts auf die Saaltür zusteuerte, »ich und sie. Denk’ an den Sessel, Stan! Frederick hat’s erwischt, und dein Mädchen steht mir bedeutend näher als …« Er stockte, sein Grinsen verwandelte sich zu einer Grimasse aus Verblüffung und Schmerz, dann schrie er wie am Spieß. Prills Gesicht war dagegen rot vor Zorn und Anstrengung. Obwohl noch sichtlich geschwächt, reichte ihre Kraft dazu immer aus. Nach einigen Sekunden, in denen Sebastians Schrei zu einem kläglichen Jaulen mutiert war, ließ sie sein Gemächt wieder los, und der arme Kerl sank in die Knie. Gutes Mädchen. Mit wenigen Schritten war ich bei ihm und hatte ihm die Browning aus der Hand gerissen. Er leistete keinen Widerstand, seine Finger gaben den Pistolengriff kraftlos frei. Prill schleppte sich hinüber zur Tür und setzte sich erschöpft auf den Boden.
    Fast alle Bewohner hatten ihre Köpfe hochgereckt und beobachteten uns. Am Ende des Saales sah ich Menschen hinter die Babalon-Kuppel robben. Dorthin hatte sich bereits ein gutes Dutzend anderer unbemerkt flüchten können. So etwas wie eine Widerstandsbewegung begann sich im Schutz der Kuppel zu formieren. Man diskutierte und beriet. Ich hörte ihr Tuscheln.

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