Lord Gamma
erwartet. Es hieß, man habe dich in die Kammer gesteckt, weil du draußen warst.« Sie musterte den Bluterguß auf meiner Stirn. »Und mit Todd und Bryan sollst du dich auch geprügelt haben.«
Meine Körpertemperatur nahm um ein paar Grad ab. »Ja, ich – war … bin inzwischen wieder sauber«, stotterte ich. »Spricht sich ja schnell herum, die Geschichte«, fügte ich hinzu.
»So wie immer.« Melissa nagte an ihrer Unterlippe. »Wie sieht sie aus?«
»Die Kammer?«
»Nein, die Oberfläche natürlich.«
Meine Gedanken rotierten. »Es ist finster«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Der Himmel gleicht einem ewigen Sonnenuntergang, rot, schwarz, violett, gelb. Es geht kein Wind, und es ist heiß. Nichts bewegt sich, es ist totenstill …«
Melissa schüttelte sich. »Also stimmt es, was Radio Gamma berichtet.«
Ich drückte sie überrascht von mir. »Radio Gamma?« Zu spät wurde mir bewußt, daß ich einen weiteren Fehler begangen hatte. Zur Hölle mit allen Slippery Nipple- Wonnedrinks, ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Ich hätte ›Ja‹ sagen sollen, statt mich zu wundern.
Melissa schenkte mir einen besorgten Blick, verließ das Bad, umrundete das Bett und kniete sich vor ihren Nachttisch. Sie zog die Schublade auf und holte einen Radiowecker heraus, den sie auf die Matratze legte. Er sah dem von Hank zum Verwechseln ähnlich, ein stationäres Einheitsmodell. »Ich mache ihn kaum noch an«, erzählte sie, während sie versuchte, den Netzstecker in einer Steckdose zu versenken, die in die Wand hinter dem Nachttisch eingelassen war. »Es ist so frustrierend, was sie von draußen melden. Na, geh schon rein …«, beschimpfte sie den Stecker. Als sie das Radio endlich angeschlossen hatte, richtete sie sich mit rotem Kopf wieder auf und schaltete es ein.
»… in Savannah ein weiteres Fraß-Experiment angesetzt wurde«, erklang eine wohlbekannte Stimme aus dem Lautsprecher. »Ah, ein neuer Zuhörer, wie die Quote mir soeben zeigt. Oder womöglich zwei? Postnuklearkoitale Entspannungsphase? Haha, war nur ein Witz. Willkommen bei Radio Gamma, dem Sender mit dem ultimativen Programm nach dem ultimativen Bang!« – Ein hektisches Jingle, das mit einer Bombenexplosion endete – »Interregional, international, interplanetar, interstellar, interdimensional! Wozu, was ist das doch heute wieder für ein Tag … Vergeßt nicht eure feuerfeste Unterwäsche, wenn ihr ins Freie geht, Leute. 63 Grad Celsius bei Windstille! Der Boden strahlt wie immer etwas intensiver als die Sonne. Gegen Abend erreicht uns eine Regenfront, die uns für die nächsten drei Wochen mit sechsprozentiger Schwefelsäure erfrischt. Im Krieg gegen die Zeit gibt es weiterhin neue Verluste. Apropos Zeit: Denkt daran, in zwei Wochen ist Heiligabend. An Ostern gibt es Hasenbraten, da sollte es an Weihnachten doch etwas mit Flügeln geben, oder? Vielleicht eine Gans oder eine Pute, gebratene Engel oder kleine dicke Männer mit roten Mützen. Ah, mir läuft schon das Wasser im Munde zusammen. Gönnt euch was Deftiges, Leute; die Frau eures besten Freundes, den Mann eurer besten Freundin. Mein Freund Stan ist unterwegs zu euch, um den Knecht Ruprecht zu spielen …«
Ich packte das Radio, hob es hoch und schleuderte es zu Boden. Gamma verstummte in einem häßlichen Krachen, Plastikteile und Platinen wirbelten durch die Luft. Im Zimmer herrschte für Sekunden Stille.
»Das Radio besitzt auch einen Aus-Schalter«, informierte mich Melissa entgeistert.
»Der Kerl geht mir mit seinem Geschwätz auf die Nerven«, tobte ich. »Kann seine Stimme wirklich nicht mehr hören!«
»Bist du wirklich okay? Ich werde das Gefühl nicht los, daß du nicht lange genug in der Kammer warst.«
Ich atmete tief durch und grinste verunglückt. »Vielleicht hast du recht. Am besten, ich melde mich nochmal im Hospital.«
»Ich begleite dich«, entschied Melissa.
»Nicht nötig«, wehrte ich ab. »Ich finde den Weg allein.«
»Du bist nicht Herr deiner Sinne. Ich komme mit, ehe du alles kurz und klein schlägst.«
Ich schnaufte ergeben. »Meinetwegen. Laß mich dir vorher noch etwas zeigen, das ich von draußen mitgebracht habe.«
Melissa bekam große Augen. »Du hast -«
Ich legte einen Zeigefinger auf ihren Mund. »Das bleibt unser Geheimnis, okay?« Sie nickte, aber ich erkannte eine Spur Angst in ihren Augen. Ich bat sie, sich aufs Bett zu setzen, während ich meine Jacke aufhob und in den Taschen herumwühlte. Melissa machte ein Gesicht, als fürchte
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