Lord Gamma
wie Hank?
Bevor Prill im leuchtenden Wald verschwinden konnte, holte ich sie wieder ein. Ich wußte nicht, welcher Teufel mich ritt, aber meine Bestürzung und meine Wut trieben mich zu einer Tat, die eine Reaktion provozieren mußte: Ich packte ihren Schleier und hielt ihn fest, um sie zum Stehenbleiben zu zwingen. Das Gewebe spannte sich, ich vernahm ein reißendes Geräusch. Prills Haarknoten platzte zur Hälfte auf, während sie selbst in der Bewegung erstarrte. Sie stand da, als hätte ihr jemand ein Messer in den Rücken gerammt. Was mich jedoch ein paar Schritte zurückweichen ließ, war nicht das Wimmern, das Prill nun von sich gab, sondern die Kreatur, die sich aus ihrem zerstörten Haarknoten wand. Zuerst glaubte ich, die Droge spiele meinen Sinnen einen weiteren Streich. Doch das Wesen war echt! Es streckte drei seiner Beine aus und stützte sich an Prills Hinterkopf ab. Dann schlüpfte es aus seinem Haarkokon, während ein weißes, wurmartiges Gebilde aus einer Öffnung in ihrem Nacken in seinen Vorderleib zurückglitt. Als sich der schlauchförmige Fortsatz von Prill gelöst hatte, sank sie mit einem schmerzvollen Seufzen zu Boden und blieb reglos liegen. Augenblicklich sprang die Kreatur von Prills Schultern auf seine acht unterarmlangen Beine und starrte mich an. Auf den ersten Blick glich sie einer riesigen Spinne, deren hochaufgerichteter, glänzend-schwarzer Hinterleib die Größe einer Kokosnuß besaß. Aber dieses Ding war kein Lebewesen, sondern eine Maschine. Sein Leib war gefüllt mit Elektronik und bestand aus einem Metall, das zuweilen sogar Pistolenkugeln standzuhalten vermochte. Zwei lange, nadeldünne Antennen, die seinem relativ kleinen Kopf entwuchsen, kreisten ruhelos. Vier schwarze Murmeln an dessen Vorderseite, die Okulare hochsensibler Kameras, ließen mich nicht aus den Augen. Das Bild, das sie empfingen, sendeten sie zweifellos in die Sicherheitsabteilung, und wenn ich Pech hatte an den Lord selbst.
Das mechanische Wesen im Gras war ein Läufer. Keines der fast hüfthohen Exemplare, wie sie auf der Oberfläche patrouillierten, sondern ein innerstationäres Modell, das sich unauffällig in den Arboreten und Korridoren zu bewegen vermochte. Eine Art mobile Wanze, die Augen und Ohren der zurückgezogenen Lords. Es mit bloßen Händen anzugreifen bedeutete, sich einen 10 000 Volt-Stromstoß einzufangen.
Ehe ich zu einer Reaktion fähig war, wirbelte der Läufer herum und verschwand blitzschnell im Dickicht des Parks. Ich starrte auf Prills reglosen Körper. Im günstigsten Fall blieb mir genug Zeit, um zu verschwinden, da man sich bei einem dokumentierten Regelverstoß für gewöhnlich selbst anzuzeigen hatte. Im ungünstigsten Fall hatte der Läufer eine gestochen scharfe Aufnahme meiner Augen an die Sicherheitsabteilung oder den Lord übermittelt, damit der maskierte Unruhestifter anhand eines Netzhautvergleichs identifiziert werden konnte. Die Lichtverhältnisse spielten für die Leistungsfähigkeit seiner Elektronenaugen keine Rolle. Spätestens nach meiner Identifizierung würde der einen oder anderen Instanz bewußt sein, daß sich zwei Stans in der Station aufhielten. Ich konnte also davon ausgehen, daß ich in Kürze mit Schwierigkeiten zu rechnen hatte. Die Zeit, unbehelligt aus der Station zu gelangen, verrann …
Ich lief zu Prill und machte mir gleichzeitig Gedanken darüber, was sie verbrochen haben mochte, um sich einen Läufer aufzubürden. Es mußte etwas gewesen sein, das im Widerspruch zu ihrem Persönlichkeitsmuster gestanden hatte. Entweder hatte der Läufer dem Zweck gedient, sie vor dem Erfahrenen zu schützen, oder um die neuronale Reset-Taste zu drücken und Prill mundtot zu machen. Was auch immer, der Läufer hatte offenbart, daß auch sie nicht das Original war. Der Schreck und die Angst, entlarvt zu werden, vermischten sich in mir mit dem Rest der Droge, die mein Denken vernebelte, zu einem konfusen Gedankengemisch, das mir den Schweiß auf die Stirn trieb.
Prill stöhnte leise, als ich mich neben ihr niederkniete und sie auf den Rücken drehte. Mein Verstand riet mir, sie liegenzulassen, um mit heiler Haut davonzukommen. Jemand würde sich bald um sie kümmern. Zu viele Dinge waren in dieser Station bereits für mich schiefgelaufen, angefangen mit dem Verlust der Browning. Doch mein Gewissen wehrte sich dagegen, Prill zurückzulassen. Was, wenn ausgerechnet sie auf den Schlüssel ansprechen würde?
Es war mein Schutzinstinkt, der letztlich
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