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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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ihr entfernt, sondern nur nebenan, in einem abgespalteten Fragment, das die Lords kopiert, vervielfacht und wie Perlen an einer Kette aufgereiht haben. Ich kann mich nicht erinnern, auf welche Weise wir entführt wurden. Ich schlief neben dir – deinem Original – im Flugzeug ein und wachte hier am Straßenrand auf der Rückbank dieses Wagens wieder auf. Allein.«
    Prill sah auf den Höhenzug. »Bist du schon mal in die Wüste gegangen?« fragte sie. »Was liegt hinter den Hügeln?«
    »Die Straße …« Ich zuckte hilflos die Schultern. »Man trifft wieder auf die Straße. Auf diese oder eine, die identisch mit ihr ist. Und auf der jemand wie ich an der gleichen Stelle einen identischen Wagen geparkt hat. Ich bin nicht sehr bewandert in Geologie oder Astronomie, aber das hier ist keine normale Welt. Sie gleicht eher einem langen, dünnen Schlauch. Wenn ich nach links loslaufe, komme ich nach ein paar Stunden von rechts wieder hier an. Die Vorderseite des einen Bergrückens ist die Rückseite des anderen. Und diese absurde Straße führt immer geradeaus, immer bergab. Bist du schon mal 6000 Kilometer weit einen Berg hinunter gefahren?« Prill hob ratlos die Augenbrauen. Mir wurde bewußt, daß es eine reichlich idiotische Frage war; in vielerlei Hinsicht. »Es ist paradox«, sagte ich. »Die Landschaft ist völlig eben, und doch geht es ständig bergab. Nichts kann aber ewig bergab gehen. Und wenn dieses Tal nur eine Rampe ist, die irgendwann mal irgendwo auf der eigentlichen Oberfläche einer Welt ankommt – Gott, welche Ausdehnung hat dann erst diese Welt?«
    »Was glaubst du, welches Jahr wir schreiben?« wechselte Prill das Thema. »Wie lange sind wir schon hier?«
    Ich hatte Luft geholt, um mich über diagonale Ebenen und verschobene Schwerpunkte auszulassen. Prills Frage verwirrte mich für einen Moment. »Das Flugzeug startete 2017«, antwortete ich schließlich. »Falls hier die gleichen Zeitbegriffe gelten wie auf der Erde, müßten wir etwa das Jahr 2021 oder bereits 2022 schreiben.«
    »Soll das etwa heißen, du fährst seit vier Jahren diese Straße entlang?« Prill sah mich fassungslos an.
    »Nein, erst seit ein paar Monaten.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Genau darüber zerbreche ich mir den Kopf. Ich besitze keine Erinnerung daran, jahrelang Bewohner einer Station gewesen zu sein. Die Menschen behaupten jedoch, sich seit fast vier Jahren in den Bunkern aufzuhalten. Ich weiß allerdings nicht, wie lange es gedauert hat, um die Klone zu züchten. Die Technik der Lords ist viel weiter entwickelt als unsere. Sie können ein paar Wochen dafür benötigt haben, aber es ist auch möglich, daß es Jahre gedauert hat. Vielleicht sind wir schon jahrzehntelang hier. Hinzu kommt, daß ich bisher keinem einzigen Menschen begegnet bin, der nicht von den Lords gezüchtet wurde. Ich traf nur Klone, so wie dich.«
    Prill starrte irgendwohin in die Wüste.
    »Ihre Originale, die mit mir im Flugzeug saßen, müssen irgendwo sein«, fuhr ich fort, »auf die Stationen verteilt oder dort, wo ich mich fast vier Jahre lang aufgehalten habe – oder aufgehalten wurde; an einem Ort, der keine Erinnerungen an sich zuläßt.«
    »Erinnerungen«, wiederholte Prill gedankenverloren. Sie hockte sich im Schneidersitz in den Sand, forderte mich mit einem Blick auf, es ihr gleichzutun. »Erzähl mir etwas über dich«, bat sie.
    »Dazu müßte ich von Hank erzählen«, sagte ich ausweichend, als ich mich zu ihr gesetzt hatte. »Er ist meine Angst und meine Wut.«
    »Hank? Der Spinner?«
    Ich schmunzelte, erwiderte ihren erwartungsvollen Blick. »Genau der. Hank ist mein Zwillingsbruder.«
    Prill war für eine Weile sprachlos. »Dieser Bekloppte?« schnappte sie dann, studierte mein Gesicht, als suche sie Anzeichen einer verborgenen Geisteskrankheit. »Das wußte ich nicht.«
    »Natürlich nicht. Hank ebensowenig. Niemand auf dieser Welt weiß mehr, zu wem er gehört.«
    Ein kurzer Anflug von Betroffenheit in Prills Gesicht. »Ihr seht euch nicht gerade ähnlich«, meinte sie.
    »Nein, heute nicht mehr. Hank und ich sind das Resultat einer Liebe, die zu Ende war, bevor wir zur Welt kamen. Das war 1983 in Riverhead, einem kleinen Kaff auf Rhode Island. Für meine Mutter waren wir die schmerzhafte Erinnerung an den Vater, und für meinen Vater existieren wir nicht, weil er keine Ahnung hat von unserer Geburt. Ich kann mich nicht an unsere Mutter erinnern, weiß nicht einmal ihren Namen. Sie gab Hank und mich zur Adoption frei, als

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