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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Gegensatz zum schattigen, spärlich bewachsenen Seeufer von kniehohem Gras überwuchert. Sie setzt sich unter den Hickorybaum und läßt sich von den Sonnenstrahlen trocknen. Die Sonne geht unter, nicht auf, bemerkt sie traurig. Scharlachrot balanciert der Feuerball über den Bergen, umkränzt von einer goldorangefarbenen Gloriole.
    Wende dich zur Sonne, und du siehst nicht die Schatten, erinnert sie sich an ein Sprichwort ihrer Vorfahren. Seltsam, daß sie ausgerechnet jetzt an sie denken muß, wo sie am weitesten von ihr entfernt sind. Das Cree-Blut in ihren Adern ist nach Generationen so dünn wie ein Gin Fizz.
    Sie träumt mit offenen Augen, wartet, bis das Tagesgestirn hinter den Baumwipfeln verschwunden ist. Dann kriecht sie zum Wasser, betrachtet ihr Spiegelbild. Es blickt nachdenklich zurück, fast gleichgültig. Sie verknotet ihr Haar, beginnt Grimassen zu schneiden, doch am Ende klärt sich ihr Gesicht immer wieder zu einer ausdruckslosen Maske.
    »Was tust du da?« fragt unvermittelt eine Stimme hinter ihr.
    Sie wirbelt herum. »Stan!« ruft sie erstaunt, springt auf. »Wie – wie kommst du hierher? Du hast mich fast zu Tode erschreckt!« Sie geht auf ihn zu, doch ihre Umarmung trifft ins Leere. »Stan …?« Unsicher weicht sie zurück.
    »Ich habe eine vertraute Form gewählt, um dich nicht zu erschrecken«, erklärt die Erscheinung. »Es ist mir wohl nicht gelungen.«
    Sie versucht, ihre Blöße hinter dem Hickory zu verbergen, mustert Stans Gestalt. »Du bist kein Klon«, entscheidet sie. »Was bist du?«
    »Was du wahrnimmst, ist ein Paragon.«
    »Schickt dich das Licht?«
    »Ich bin das Licht, Prill.«
    Verflixt, dann starrt es sie im Zimmer womöglich doch an, wenn sie nackt durch den Raum spaziert! Schlimmer noch: wenn sie ihm gegenüber sitzt und die Erinnerungen empfängt … Sie tritt hinter dem Baum vor, bleibt vor der Erscheinung stehen. Diese sieht ihr in die Augen, aber nicht tiefer. Oder geht der Blick des Paragons durch sie hindurch, ins Leere?
    »Siehst du mich?«
    »Natürlich, Prill. Von überall her.«
    Sie schluckt. »Als Mensch?«
    »Als Verinnerlichung.«
    »Das verstehe ich nicht.« Sie betrachtet die Spiegelung der Berge auf der Wasseroberfläche. »Wenn du den Wald betrachtest, was siehst du?«
    »Ich sehe Bäume mit todkranken Blättern, angefüllt mit Xanthophyll, Carotin und Anthocyan.«
    »Du bist unromantisch.«
    »Ich habe nur deine Frage beantwortet. Das soll nicht heißen, daß ich diesen Ort nicht stimmungsvoll finde. Er wirkt beruhigend.«
    »Er ist wunderschön. Man glaubt, daß die ganze Welt in roter Farbe ertrinkt. Die Wälder leuchten nur wenige Tage im Jahr so intensiv. Es ist dort, wo ich herkomme, ein einzigartiges Schauspiel. Man nennt es Indian Summer. Die Indianer, denen dieses Land einmal gehörte, sagen, der Wald sei getränkt vom Blut des Großen Bären, der vom himmlischen Jäger erlegt wurde.«
    »Eine sehr mythologische Deutung«, urteilt der Paragon. »Warst du oft hier?«
    »Ja, als Kind, bevor wir in die Stadt zogen. Da war dieser Baum hier gerade mal so groß wie ich. Zuletzt bin ich mit Stan hierher zurückgekehrt. Es gefiel ihm, aber er vermochte den Zauber nicht zu spüren, die Kraft, die hier wohnt. Er fand es – idyllisch.« Sie schließt die Augen, hebt ihre Hände vor ihre Brüste. »Sie ist nicht da«, stellt sie fest. »Es ist nicht wirklich, daher die Traurigkeit.«
    »Das tut mir leid.«
    Sie bückt sich, rupft ein Büschel Gras aus dem Boden. »Was ist das?«
    »Gras«, antwortet das Stan-Ebenbild.
    »Ich meine nicht, wonach es aussieht, sondern was es tatsächlich ist.«
    Ihr Besucher denkt nach, als wüßte er es selbst nicht auf Anhieb. »Ektoplasma«, erklärt er dann. »Eine Form von Ektoplasma. Wie das Wasser, die Luft und der Boden.« Er sieht sich um, scheint tatsächlich seine Umwelt wahrzunehmen, obwohl er durchsichtig ist, mit transparenten Augen und einem transparenten Gehirn.
    »Erzähle mir etwas über diesen Ort«, bittet er sie. »Von deinem letzten Besuch.«
    »Warum?«
    »Es interessiert mich.«
    »Gibt es eigentlich etwas, das dich nicht interessiert?« fragt sie mit einem Anflug von Ärger. »Seit ich mich in deiner Obhut befinde, löcherst du mich mit Fragen. Von dir und deiner Welt weiß ich noch immer nichts.«
    Der Paragon bleibt ungerührt: »Du bist in mir, und in meiner Welt. Alles, was du siehst, bin ich.«
    Sie schließt einen Moment lang die Augen. »Okay, tut mir leid«, sagt sie leise. »Deine

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