Lord Gamma
Anwesenden und schenkte mir gelegentlich einen ausdruckslosen Blick.
Ich verhielt mich so unauffällig ich konnte, gab mich locker und gelassen, wurde aber hin und wieder von der Angst befallen, Nikobal könnte meine Gedanken lesen. Falls er wußte, wer ich war, ließ er es sich noch nicht anmerken.
Ich zwang mich, ihn nicht ständig aus dem Augenwinkel heraus zu beobachten, sondern nahm Fredericks ›Überraschungs-Beau‹ ins Visier. Genauer gesagt sein Jackett, in dem laut Stan II das Kuvert mit der Liste der zwölf Kandidaten stecken mußte.
Taschendiebstahl ist eine hohe Kunst, vor allem dann, wenn sie unter den Augen eines Lords ausgeübt wird, und erst recht bei Opfern wie Frederick und Brendan. Die beiden ließen keinen zufälligen Körperkontakt zu, sondern waren ständig darauf bedacht, daß ein respektvoller Abstand zu ihnen eingehalten wurde. Das Herrchen und sein scheues Hündchen. Meine Absicht war nicht, die Liste zu stehlen, sondern sie mir lediglich für ein paar Minuten auszuleihen. Eine Prise Arschkriecherei über den ›exquisiten‹ Geschmack der beiden, ein wenig geheucheltes Modeinteresse, ein dezentes Befühlen der Stoffe, ein bißchen Haha, dann trug ich ein kleines, graues Kuvert in der linken Innentasche meines Jacketts, wie einen Schild über meinem klopfenden Herzen und von der Angst begleitet, meine Körperwärme könnte die eventuell mit Spezialtinte geschriebene Schrift Nikobals verblassen lassen und die Liste in ein leeres Blatt verwandeln. Temporäre paranoide Anfälle waren meine Schwäche. Und – Jesus – das Kuvert war so wichtig, daß es mein Jackett in eine kugelsichere Weste zu verwandeln schien. Jedenfalls fühlte ich mich nach dem Coup wie Siegfried nach seinem Bad im Drachenblut. Der Haken war, daß mein Verhältnis von stählerner Haut und verletzlicher Stelle geradezu lächerlich war. Nikobals Drachenblut bedeckte lediglich mein Herz …
Ich schaffte es, für ein paar Minuten aus dem Club zu verschwinden, unter dem Vorwand, ich müsse mal pinkeln. Fredericks mißbilligender Blick verfolgte mich durch den Saal bis zur großen Flügeltür. Es gab nur diesen einen Ausgang. Mein Weg führte über den Korridor, der den Saal mit dem eigentlichen Wohntrakt verband und an dessen Ende ich Zoë begegnet war. Nach zwanzig Schritten zweigte der Blindgang ab, an dessen Ende die verborgene Kammer lag.
Ich zog das Kuvert hervor und stellte beruhigt fest, daß wirklich zwölf Namen auf der Liste standen und sich nicht einer nach dem anderen in ein ›Fick dich!‹ verwandelt hatte. Zoës Name stand zum Glück nicht darauf, meiner allerdings auch nicht. Im Umschlag fand ich zudem etwas, das wie ein Scheck oder ein signiertes Wertpapier aussah, ausgestellt auf Brendan über einen Betrag von fünfhundert Dollar. Ich schmunzelte. Gold, fat parasite gold, hier gab es Geld für die Sklaven.
S. T. Nikobal prangte in geschwungener Handschrift unter dem Betrag. Wofür die Initialen standen, war mir schleierhaft. Sankt Nikobal konnte es wohl kaum bedeuten. Wahrscheinlich ein schmückendes Beiwerk des Lords, um einen bürgerlichen Namen vorzutäuschen. Die Punkte hinter den Initialen waren schwungvolle Kringel, so daß sich die Signatur mit etwas Phantasie wie Satan Ikobal las. Ein abfälliges Grinsen schlich sich für Sekunden in mein Gesicht. Wer wußte, welche Dienste die großzügige Bezahlung Brendans vergalt? Lay my hands on heaven and the moon and the stars, while the devil wants to fuck me in the back of his car …
Ich schlüpfte durch das Loch im Wandbehang und befand mich wieder in der winzigen Kammer, von der aus man zum Lüftungsschacht gelangte. Mein Rucksack stand unangetastet neben der Leiter. Ich mußte mich beeilen, damit Nikobal und Frederick nicht mißtrauisch wurden. Unter dem Licht der Xenonlampe zog ich das taschenbuchgroße Kopiergerät aus dem Rucksack, klappte es auf und legte die Liste hinein. Dann plazierte ich es auf dem Boden und startete das Reproduktionsprogramm. Es dauerte einige Sekunden, bis der Kopierer Handschrift, Papierbeschaffenheit, Tuschezusammensetzung und Aroma der Liste analysiert hatte. Nachdem ich bestimmt hatte, welcher Name ausgetauscht werden sollte, begann er leise summend, aus den gewonnenen Daten eine leicht veränderte Kopie der Liste zu erschaffen, die langsam aus dem Produktionsspalt herauszukriechen begann. Warm und duftend lag sie schließlich in meiner Hand. Name Nummer fünf lautete nun nicht mehr Sean, sondern Stan. Ich steckte
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