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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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vermeiden Sie Panik! Ich bin sofort bei Ihnen!«
    Als die Kreatur nur noch wenige Meter von mir entfernt war, tat sie einen letzten Sprung, beugte sich herab und drückte mich zu Boden. Dann wickelten sich fingerdicke Ranken um meinen Körper, die mich praktisch bewegungsunfähig machten, und ein kopf großes, nach kaltem Urin stinkendes Blatt legte sich auf mein Gesicht. Für Sekunden konnte ich nicht mehr atmen, fühlte feine Härchen, die über meine Haut wanderten.
    »Stan«, stellte die Kreatur fest. Ihre Stimmen erreichten mich von links und rechts. »Deine Aura läßt mich fühlen, daß du verletzt bist. Du verlierst Körperflüssigkeit an zwei Beschädigungen deines Kopfes.« Das Blatt löste sich von meinem Gesicht, und ich holte erleichtert Luft. »Beweg dich nicht«, wies mich das Wesen an, als ich mich aufbäumte. »Du wirst von mir medizinisch versorgt.« Ich fühlte zwei Einstiche, wie von langen Dornen, die in mein Fleisch drangen. Mit einem Aufschrei versuchte ich erneut, mich aus der Umklammerung zu lösen, doch vergebens. »Beruhige dich, Stan«, sagte die polyphone Stimme. »Du hast einen Kontaminationsschock. Ich lindere deine Schmerzen und sorge dafür, daß deine Beschädigungen heilen.«
    »Das heißt Verletzungen«, stöhnte ich. »Verdammt, laß mich los!«
    »Deine Strahlungswerte überschreiten die zulässige Höchstbelastung um das Achtzigfache«, fuhr die Kreatur unbeeindruckt fort. »Ich werde eine Sanitäts-Einheit heraufbeordern, die dich in die Kammer bringt.« Eine Ranke löste sich von dem Schatten und kroch den Steg entlang, wurde länger und länger, bis sie den Lift erreicht hatte. Dort wanderte sie die Wand empor und tippte auf ein Sensorfeld, das in Kopfhöhe neben dem Fahrstuhl angebracht war. Anschließend zog sie sich wieder in den Schatten über mir zurück.
    Na wunderbar! Ich ließ den Kopf zurücksinken. Genau das, was ich mir gewünscht hatte. Ein eigenartiges Prickeln erfüllte meinen Körper, machte mich schläfrig und verdrängte den pochenden Kopfschmerz. Auch die geprellten Rippen spürte ich kaum noch.
    »Was für ein Zeug hast du mir da gespritzt?« flüsterte ich. »Was, zum Teufel, bist du überhaupt? Wo ist der Wächter?«
    »Du scheinst einen temporären Gedächtnisverlust erlitten zu haben, Stan. Vermutlich trübt die erhöhte Strahlung dein Erinnerungsvermögen. Ich bin der Wächter. Wie bist du eigentlich an die Oberfläche gelangt? Ich wurde nicht darüber informiert, daß jemand die Station verlassen sollte.«
    »Lüftungsschacht D …«, murmelte ich. »Eine … Wette.«
    »Eine ordnungswidrige Aktion. Ich werde zusätzlich den Strafbevollmächtigten informieren müssen.«
    Ich stellte mich schlafend. Minutenlang rührte das Pflanzenwesen kein Blatt. Dann sprach es: »Du kannst mich nicht täuschen, Stan. Ich bin keine Maschine. Meine Sensitivität übersteigt die deine um ein Vielfaches. Solange dein Gehirn Alpha-Wellen sendet, bist du wach.«
    Ich atmete tief durch. Früher oder später mußte so etwas ja passieren. »Laß mich los, gottverdammt!« knurrte ich gereizt.
    »Ich bin bevollmächtigt, jeden Bewohner, der sich im Freien aufgehalten hat und unter einem Kontaminationsschock leidet, vor sich selbst zu schützen, bis die Sanitäts-Einheit eingetroffen ist.«
    Der Lift setzte sich in Bewegung und kam nach oben gefahren. Als die Kabine die Eingangsetage erreichte und sich die Türen öffneten, erhellte zum ersten Mal Licht die Szenerie. Nun sah ich, warum die Kreatur sich so unbeholfen fortbewegt hatte: ihr tatsächlich einziger Fuß war ein riesiger Blumentopf. Der Schatten, der aus ihm emporwuchs, glich einer Mischung aus Orchidee und Maulbeerbaum. Er besaß ein gutes Dutzend lippenförmiger, wulstiger Blüten, deren Farbe ich im Halbdunkel nicht bestimmen konnte. Es bestand kaum ein Zweifel daran, daß es diese Blüten waren, mittels derer sich das Wesen verständigte. Ihre Zahl erklärte auch die chorartige Stimme, mit der es zu mir sprach. Einer solchen Kreatur war ich in den Stationen noch nie begegnet; zumindest nicht bewußt. In einer der Grünanlagen würde sie kaum auffallen, solange sie sich nicht bewegte. Wer wußte, an wie vielen ihrer Art ich bei meinen Besuchen bisher vorbeigeschritten war, unwissend, daß es sich bei ihnen um intelligente Gezüchte der Lords handelte …
    Erst die Entdeckung der Läufer, jetzt die Erkenntnis, daß ein Großteil der stummen Gewächse in den Parks vielleicht gar keine solchen waren! Ich würde in

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