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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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– ein Teil von ihm?
    »Dieses Spiel fordert dich heraus, aus deiner Not eine Tugend zu machen«, fuhr Sebastian fort. »Wie heißt es so schön: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.«
    »Das bezweifle ich. Bisher erkenne ich lediglich eine gehörige Portion Zynismus.«
    »Wo liegt der Unterschied?«
    Ich hob meine Hände und deutete auf das massige Etwas vor mir: »Hier!«
    Dixon hatte uns mit Lederriemen an das Zaumzeug zweier Maultiere binden lassen, denen wir nun hinterhertrotten durften. Nicht genug, daß die Tiere penetrant mit ihren Schweifen schlugen und uns dabei in die Gesichter trafen, das Unangenehmste war der Geruch, dem wir ausgesetzt waren – und hin und wieder auch mehrere zu Boden plumpsende Gründe für diesen Geruch. Ein weiteres Maultier lief in der Mitte des Zugs, das vierte bildete die Spitze.
    Es war mittlerweile stockfinster geworden. Von der Gewölbedecke – falls es sie überhaupt gab – drang nicht der geringste Lichtschimmer herab. Babalon simulierte selbst die Tageszeiten, glich sie meiner Vergangenheit an. Am Hals jedes Maultiers pendelte inzwischen eine Kaltlichtlaterne, die den Pfad erhellte. Vor uns marschierten zwei Gardisten in gedämpfter Unterhaltung. Ich lauschte ihrem Gespräch, verstand aber kaum ein Wort.
    »Und?« erkundigte sich Sebastian nach einer Weile.
    »Der Phonetik nach könnte es dieselbe Unterhaltung wie damals sein«, antwortete ich. »Keine Ahnung, worüber sie reden. Jedenfalls scheinen sie nicht allzu bekümmert zu sein.« Ich sah mich um. »Keiner von ihnen wird sein Ziel erreichen. Wenn wir nicht bald hier wegkommen, schleifen sie uns an den Eselsärschen mit sich ins Verderben.«
    »So schlimm kann es nicht gewesen sein«, kommentierte Sebastian. »Du lebst ja noch.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es zu überleben ist eine Sache, es zu erleben eine andere. Verrate mir eins: Warum nimmt sich Babalon so viel Zeit, um dieses Ereignis zu rekonstruieren?«
    Sebastian kräuselte die Stirn. »Es ist deine Zeit, die verrinnt, nicht seine. Du mußt mit dir ins Reine kommen. Sollte dich die Brücke fallenlassen, dann schieb die Schuld nicht mir in die Schuhe.«
    »Nichts wünsche ich mir lieber, als diese Vergangenheit ruhen zu lassen.«
    »Wirklich?« Sebastian kniff die Augen zusammen. »Viele wünschten sich das. Die meisten von ihnen wohnen nun in den Slums. Und warum? Weil da noch etwas ist, das mächtiger ist als alle guten Vorsätze.«
    »Was meinst du?«
    »Deine Erinnerung hat eine Eigendynamik entwickelt, Stan. Ich kenne das, sonst wäre ich nicht auch hier unten. Sie ist zu einem autonomen Wesen geworden, mit einem Bewußtsein, das dem deinen überlegen ist. Was in Kürze auch passieren mag, es beherrscht dich, wenn du allein bist, wenn es dunkel ist, habe ich recht? Dann kommen die Bilder, die Stimmen, die Schmerzen … Du fürchtest dich vor diesen Augenblicken, aber du kriegst die Bilder nicht aus deinem Kopf. Schläfst nur bei Licht. Betrinkst und berauschst dich. Irgend etwas erinnert dich immer daran. Du hast den Wunsch, aber nicht die Macht, das Erlebte zu verarbeiten, seine vermeintlich zerstörerische Kraft in etwas Neues, Schöpferisches umzuformen. Tief in deinem Inneren scheinst du dich damit abgefunden zu haben, daß alles, was du erlebt hast, in deinen Gedanken immer wieder geschieht. Daß es geschehen muß! Wie jetzt. Du glaubst inzwischen, daß Babalon ein Spiel ist, das gespielt werden will! Ich hingegen glaube, daß dir das, was diese Wunden geschlagen hat, letztendlich doch ein Gefühl des Stolzes vermittelt. Den Stolz, es erlebt und überlebt zu haben. Ein Paradoxon. Selbstgeißelung. Seelischer Masochismus. Ein wahres Arkadien für Babalon …«
    »Danke für die Tiefenanalyse«, knurrte ich, »aber das ist mein Dämon.«
    Sebastian schüttelte den Kopf. »Nicht mehr lange, Stan. Sieh mal: Warum bin ich in der Lage, dich zu begleiten, ohne daß meine eigenen Welt um uns herum Gestalt annimmt und mich ebenfalls heimsucht? Weil ich mit mir im Reinen bin. Ich habe meinen Dämon besiegt. Mein Problem ist jedoch, daß sich seit dem Tag, als ich vor sechs Monaten Babalon verlor, niemand aus der Oberschicht für mich interessiert hat. Wahrscheinlich« – Sebastian sah mich durchdringend an – »weil Nikobal meinen Namen für die Wahl gesperrt hat.«
    »Wenn es so ist, tut es mir leid.«
    »Natürlich. Allen tut es leid.«
    Wir schwiegen eine Weile, bis sich unsere Emotionen gelegt hatten. Dann fragte ich: »Wo lebt ihr auf dieser Ebene? Ich

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