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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Kabine ist mit leeren Sitzreihen gefüllt. Alles ist normal, und doch wieder verändert. Es fehlen Teile. Zusammenhänge. Der Nexus. Ich komme mir vor wie in einem Film, aus dem fertig gedrehte Szenen herausgeschnitten worden sind; Passagen, die meine Erinnerung enthalten haben. Ich fühle mich wie eine Figur, die über das Zelluloid hinaus ein Bewußtsein entwickelt hat und sich nun fragen muß, was in den verlorenen Szenen geschehen ist. Ich sehe mich um, suche Seetha, kann sie aber nirgendwo entdecken. Vielleicht ist sie in der anderen Kabine oder endgültig dem Schnitt der Regisseure zum Opfer gefallen.
    Der Koffer, den der Kerl trägt, ist diesmal aus Leder. Ein Reisekoffer, groß und braun, aber nicht minder schäbig als sein Vorgänger. Ich kann meine Neugier nicht länger verbergen, sehe auf, schaue ihn an. Der Zwerg im Lotteranzug steht da und erwidert meinen Blick. Klar, er wartet auf meine Aufmerksamkeit. Scheint viel Zeit zu haben. Ich will aufstehen, zu ihm gehen, doch die Sicherheitsgurte verhindern es. Nervös suche ich die Verschlüsse, aber es gibt keine. Die Gurte verschwinden in den Polstern, sitzen fest wie Fesseln.
    »Arr!« ruft der Fremde und macht mit der geballten Hand eine Geste, die wohl verdeutlichen soll, wie stabil die Gurte sind.
    Ich sehe aus dem Fenster. Alles ist grün, verschwommen vom Nebel, der zwischen den Baumkronen hängt und die Kunststoffenster von außen beschlagen hat. Der Anblick des Waldes ist mir vertraut, doch gleichzeitig verwirrt mich das, was ich sehe. Seltsamerweise vermisse ich die Schwärze, das konturlose Nichts. Aber nun blüht Vegetation jenseits des Fensters. Die Kabine hängt in einer Höhe von vielleicht zwanzig Metern über dem Boden, völlig bewegungslos. Von draußen starrt mich das schemenhafte Antlitz eines kleinen schwarzen Affen an. Er hockt auf einem Ast, zupft kirschengroße gelbe Früchte von den Zweigen und stopft sie sich ins Maul.
    Sind es letzten Endes nur Tiere gewesen, die sich über die Kabine bewegt haben? Das Gleiten und Hämmern an der Außenwand; lediglich das Werk neugieriger Affen und durch die Wipfel streifender Schlangen?
    Der Zwerg im Anzug legt den Koffer behutsam auf den Gangboden und öffnet ihn. Zwar verwehrt mir der aufgeklappte Deckel die Sicht, doch ich erkenne, daß sich etwas Rotes in dem Behälter befindet. Zwei lange, dünne Stäbe, Antennen gleich, beginnen sich aufzurichten und forschend durch die Luft zu bewegen. Was auch immer sich im Koffer befindet, es ist lebendig!
    Mit einer eleganten Bewegung dreht der Zwerg den Koffer herum und grinst mich hinterhältig an, während sich beim Anblick des Wesens meine Nackenhärchen aufrichten. Aus dem Koffer kriecht ein riesiger Hummer! Das Tier mißt wenigstens einen Meter, seine zwei unterarmlangen Greifscheren nicht eingerechnet. Als es sein Transportmittel verlassen hat, schließt der Zwerg den Koffer und erhebt sich, schnalzt mit der Zunge und ist fort. Diesmal habe ich gesehen, wie er verschwunden ist; einfach geplatzt, wie eine Seifenblase.
    Der Monsterkrebs kommt durch den Mittelgang auf mich zugekrochen. Irgend etwas an ihm ängstigt mich. Es ist nicht seine Größe, sondern seine Gestalt. Sein Kopf unter dem Carapax ist seltsam geformt, sieht nicht aus wie der eines Hummers. Als das Tier die Sitzreihe vor mir erreicht, springt es gewandt wie eine Katze auf den Sessel und ist für Augenblicke nicht zu sehen. Aber ich kann hören, wie es am Stoff hinaufkriecht. Als es dann vor mir über den Rand der Lehne klettert, erkenne ich, was mit seinem Kopf nicht stimmt. Er besitzt ein menschliches Gesicht, das Antlitz einer Frau.
    »Prill?!« krächze ich entsetzt.
    »Hallo, Stan«, säuselt der Hummer. »Du fürchtest dich doch nicht vor mir, oder?«
    Angewidert starre ich in das so vertraute und doch so entstellte Gesicht. Es ist rot, wie der Carapax, und glänzt, als sondere es ständig Flüssigkeit ab. »Mein Gott … was – haben sie mit dir gemacht?«
    Der Prill-Hummer antwortet nicht. Statt dessen wandert er über die Lehne und plaziert sich mit seinem ganzen Gewicht auf meinem Schoß. Seine dünnen, gepanzerten Beine drücken schmerzhaft in meine Schenkel. Ich sitze mit angehaltenem Atem, betrachte die überdimensionierte Mutation. Ein Schnappen ihrer Scheren könnte mir die Kehle aufreißen.
    Ehe ich es verhindern kann, hat das Geschöpf mit einer Schere mein rechtes Handgelenk gepackt und dreht meinen Unterarm herum. Dann beginnt es, mit der Spitze seiner linken Schere

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