Lord Schmetterhemd im wilden Westen
Zirkus-Joe und Little-Byrd
verschoben ihre Absicht, schlafen zu gehen, um mitzuerleben, was weiter
geschehen würde. Zirkus-Joe flüsterte seiner kleinen Seiltänzerin zu: »Ein
Jammer, daß er sie nicht bei uns auftreten lassen will...« Er flüsterte so
laut, daß es jeder verstand.
»Aber
Joe«, redete ihn Tante Turkie ungeniert an, »hast du denn wirklich geglaubt,
eine Lady und zwei Gentlemen aus altem Adel würden im Zirkus auftreten ?«
»Das
ist doch das Tollste, was ich je erlebt habe«, schrie ein älterer Herr aus der
Zimmerecke. »Die Tiere reden wirklich !«
»Nur
ein Trick !« widersprach ein anderer. »Der Herr im
Frack ist Bauchredner .«
»Oh,
da tun sie ihm zuviel Ehre an«, antwortete Onkel Berni. »Unser guter Mac hat
niemals eine solche Fähigkeit besessen.
Wer
hat Lust auf ein Pokerspiel mit mir — zum Beweis !« Da
sprangen alle Herren, die sich im Saloon befanden, von ihren Sitzen auf. Onkel
Berni erhob sich ebenfalls und rief: »Nein, nicht alle auf einmal. Herr Wirt,
die Karten bitte !« Danach wählte er sich vier Partner
aus, darunter den Farmer, einen älteren Herrn und noch zwei andere Bürger. Er
führte sie zu einem mit grünem Tuch bedeckten Tisch, Onkel Berni mischte die
Karten, teilte aus und setzte 10 Dollar.
Der
Spieltisch war von Menschen umlagert. Auch die Dame im roten Tuch, Little-Byrd
und Zirkus-Joe standen da. Ich selbst konnte durch diese dicke Mauer aus Rücken
und Köpfen nichts erblicken, hörte nur, wie Onkel Bernis Einsatz gehalten oder
gesteigert wurde. Onkel Berni gewann ununterbrochen. Er hatte stets die besten
Karten. Die Zuschauer teilten es sich jeweils durch laute Zurufe mit: »Teufel:
eine Folge fünf gleicher Karten! — Verdammt will ich sein — vier Asse! Unbegreiflich — ein volles Haus — « und ähnliche Fachausdrücke
mehr. Übrigens, ich war nie ein Spieler.
Onkel
Rab wurde zusehends unruhiger. Es ärgerte ihn, das die
schwarzhaarige Schönheit kein Auge von Onkel Berni ließ. Endlich hielt es ihn
nicht mehr auf seinem Sitz, er sprang empor und bewegte sich zu dem schwarzen
Klavier, das an der Wand stand. Sehr laut klappte er den Deckel auf, setzte
sich auf das Drehstühlchen, schlug kräftig auf die verstimmten Saiten und rief
über die Schulter: »Und jetzt kommt etwas für die Damen !«
Wahrhaftig
hatte er sofort Erfolg. Nicht nur alle weiblichen Wesen, auch einige Männer
drehten die Köpfe ruckartig um und liefen zum Instrument.
Onkel
Rab spielte auf die mir schon bekannte, außergewöhnliche schaurige Weise mit
seinen flink wirbelnden Pfoten eine Melodie. Und als er so recht in Stimmung
war, begann er zu grölen:
»Oh
schönste Frau, oh liebstes Herz,
Ach,
groß und bitter ist mein Schmerz,
Ich
möchte dich umarmen,
O
habe doch Erbarmen !«
Dabei
sah er — ich kann es beschwören — die Frau des Farmers tiefsinnig an — und
Kaninchen haben so schöne Augen! »Jetzt ist es genug !« Ich sprang auf.
Aber
niemand unterstützte mich, im Gegenteil, alle wollten mehr Lieder hören, der
Farmer zeigte keinerlei Eifersucht, seine Frau lächelte Onkel Rab so herzlich
an, daß dieser die Pfote auf sein Herz drückte und mit komischer Verzweiflung
rief: »Das ist mein Unglück, niemand nimmt mich ernst.« Da erntete er noch mehr
Gelächter.
Ich
verlor mehr und mehr die Übersicht über die Ereignisse. Irgendwann flatterte
Tante Turkie auf das Klavier und verlangte, Onkel Rab soll aufhören,
»unanständige« Liebeslieder zu singen.
»Was
dann?«
»Choräle
— fromme, erbauliche Lieder.« Ich glaube, sie brachte wahrhaftig alle
Anwesenden im Raum dazu, in einen getragenen Chorgesang einzustimmen, zu dem
sie den Takt mit der Stielbrille schlug.
Ich
beschloß stillschweigend, die Stadt so rasch wie möglich wieder zu verlassen,
auch wäre ich gerne jetzt schon ins Bett, in mein einsames Zimmer, geflüchtet.
Doch
da setzt sich der freundliche Farmer zu mir und Cookie und stellte sich uns
vor: »Mein Name ist Miller, ganz schlicht Miller, Mister...«
»Lord
Mac Shnatterman!«
»Sehr
erfreut. — Mister Lord, also Ihre Tiere, oder was immer sie nun sein mögen,
also Sie könnten mir und meiner Millie einen dicken Gefallen tun, Sir. 24 «
»Inwiefern,
Mister Miller?«
»Ja,
ich denke mir, Ihre Tiere sind sowas wie Geister, Sie verstehn sicher, was ich
sagen will. Bei den Indianern gibt’s ja jede Menge davon. Ich meine, in ihren
Märchen und Geschichten, da wimmelt es nur so von großen, sprechenden
Kaninchen, Adlerfrauen,
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