Lords of Salem: Roman (German Edition)
erzählen sollte, ohne dass sie ihn für einen Spinner hielten.
» Kann sich nicht jemand anderes darum kümmern?«, fragte Alice.
» Doch«, sagte Francis gedehnt. » Aber dann würde es schiefgehen, und ich müsste es trotzdem machen, und es würde doppelt so lange dauern. Ich bringe es lieber gleich hinter mich. In einer Stunde bin ich wieder da.«
» Unglaublich«, sagte Alice. » Du hörst auf mit dem Unterricht und gehst in Pension, und plötzlich hast du mehr zu tun als vorher. Was machen sie nur, wenn du nicht mehr für das Museum arbeitest?«
» Wahrscheinlich machen sie den Laden dann dicht.«
Er küsste sie auf die Wange und ging aus der Tür.
50
H eidi war allein in ihrer Wohnung und saß im Schneidersitz auf dem Bett, während das Morgenlicht durch das Fenster fiel. Sie starrte ausdruckslos in die Luft, hob die Zigarette an die Lippen und nahm einen tiefen Zug. Irgendwas fehlte, dachte sie, aber egal, wie sehr sie sich den Kopf zerbrach, sie kam einfach nicht darauf, was es war. Sie starrte weiter vor sich hin und versuchte vergeblich, sich zu erinnern.
Nach einer Weile stand sie auf und lief mit noch immer leerem Gesichtsausdruck durch die Wohnung. Es herrschte Chaos, und aus irgendeinem Grund hatte sie die Bodenmatten und den Läufer in der Küche verschoben und den Teppich im Wohnzimmer zusammengerollt. Verdammt, sie hatte nicht den Hauch einer Erinnerung daran.
In der Küche standen eine Wasserschüssel und ein Futternapf auf dem Boden. Was machte das Zeug hier? Sie musste das Haustier von irgendjemandem gehütet und vergessen haben, die Sachen zurückzugeben. Wahrscheinlich waren sie schon eine ganze Weile dort.
Sie schlenderte noch ein wenig herum, ehe sie sich plötzlich im Bett wiederfand. Die Zigarette zwischen ihren Fingern war erloschen. Wo kam die überhaupt her? Wann hatte sie wieder zu rauchen angefangen? Sie schnippte sie auf den Boden, zog eine neue aus dem Päckchen, zündete sie an und nahm einen tiefen Zug.
Ihr Handy klingelte. Sie ließ es einige Male läuten, dann nahm sie es und klappte es auf. Langsam hob sie es hoch und hielt es sich ans Ohr.
» Hallo«, sagte sie. Ihre Stimme klang fröhlich und munter. Doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos, wirkte fast tot.
» Hi, Mädel«, sagte Herman.
» Hi. Was gibt’s?«
» Ach, nichts«, sagte er. » Ich bin nur eine besorgte Glucke, die wissen will, ob mit ihrer Kleinen drüben im Problemviertel alles in Ordnung ist.«
» Ja, mir geht’s gut. Ich habe letzte Nacht sogar prima geschlafen.«
Ihre Stimme klang noch immer lebhaft, doch ihr Gesicht blieb eine Maske, deren Augen ins Leere blickten.
» Das ist ja schon mal was.«
» Ja«, sagte Heidi. » Hey, tut mir leid, dass ich letzte Woche so verpeilt war. Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Mir geht es wieder gut.«
» Hoffentlich«, sagte Herman.
» Und, hast du schon Kontakt mit der Band aufgenommen?«
» Mit den Lords?«, fragte er. » Nein. Soweit ich weiß, hat sich niemand gemeldet. Klingt ziemlich amateurhaft. Ich schätze, wir fahren einfach rüber, spulen unser Standardprogramm ab und hoffen, dass tatsächlich jemand pünktlich auftaucht und ein Konzert gibt.«
» Tja, im schlimmsten Fall, wenn sie die Sache platzen lassen, können wir früh Feierabend machen.«
» Oder es gibt Randale. Whitey kommt jedenfalls gegen fünf bei dir vorbei und holt dich ab, dann kannst du diesen magischen Abend live erleben.«
» Klingt nach einem vernünftigen Plan«, sagte sie.
» Also«, sagte Herman. » Er kommt so gegen fünf.«
Heidi lachte. » Du musst dich nicht wiederholen, Mann. Mach dir keine Gedanken, ich halte mich bereit. Tschau.«
» Tschau«, sagte Herman.
Sie ließ das Telefon zuschnappen und saß einen Moment lang reglos da. Langsam hob sie die Hand zum Mund und nahm einen weiteren tiefen Zug von der Zigarette.
Sie begann absichtlich zu schielen, sodass sie den Raum doppelt sah. Eine Weile hielt sie den Blick aufrecht, bis ihre Augen irgendwann, ganz langsam, in die normale Position zurückkehrten.
Als die beiden Bilder sich wieder vereint hatten, bemerkte sie, dass die Wohnung nicht so war, wie sie gedacht hatte. Der Teppich war kein Teppich, es waren Tausende von Ratten. Ihre Decke war keine Decke, sondern bestand ebenfalls aus Ratten. Als sie die Zigarette an die Lippen hob, war es keine Zigarette, sondern ein glimmender Rattenschwanz. Überall waren Ratten. Ich sollte in Panik geraten , sagte sie sich, aber so sehr sie sich auch bemühte, es gelang
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