Lords of Salem: Roman (German Edition)
ihr nicht. Sie beobachtete, wie sie kamen und gingen, spürte, wie sie sich unter ihr und um sie herum bewegten, unternahm jedoch keine Anstrengung, sie zu vertreiben oder zu flüchten. Sie blieb einfach reglos, wo sie war, ihr Gesicht ausdruckslos wie das einer Puppe.
51
F rancis nahm die Aktentasche von der einen Hand in die andere und griff in die Hosentasche. Wo war der Zettel? Er tastete die Tasche an der anderen Seite ab, aber dort war er auch nicht. Gerade hatte er ihn noch gehabt. Dann schob er die Hand in die Brusttasche des Jacketts, und dort war er.
Er faltete ihn auseinander, strich ihn glatt und verglich die Nummer mit der auf der Treppe des Hauses. Ja, es war dieselbe. Er stieg hinauf und suchte an den Klingelschildern, bis er Heidis Namen fand.
Gerade als er klingeln wollte, bemerkte er eine Frau im Hausflur, die ihn beobachtete. Er erschrak so sehr, dass er beinah seine Aktentasche fallengelassen hätte.
Sie öffnete die Tür einen Spalt weit und sah ihn an. » Alles in Ordnung?«, fragte sie. Sie war attraktiv und vielleicht ein paar Jahre jünger als Alice. Sie trug ein Batikkleid. Ihr dichter blonder Lockenschopf war von ein paar grauen Strähnen durchzogen.
» Ja«, sagte er. » Mir geht’s gut. Vielleicht können Sie mir helfen. Ich suche Heidi Hawthorne.«
Die Frau schenkte ihm ein seltsames Lächeln. » Meinen Sie vielleicht Adelheid Elizabeth Hawthorne?«
Francis nickte und lächelte ebenfalls. » Ja«, sagte er. » Allerdings.«
Die Frau betrachtete ihn genauer. » Sie kommen mir bekannt vor.«
» Wirklich?«, sagte er überrascht.
» Ja. Wirklich.«
» Ich arbeite ehrenamtlich drüben im Wachsfigurenkabinett«, sagte er. » Manchmal komme ich hier in der Mittagspause vorbei. Vielleicht haben Sie mich da gesehen.«
» Ah, das wundervolle Wachsfigurenkabinett. Da können die empfindsamen Kinder etwas über Salems glorreiche Vergangenheit lernen.«
Endlich mal jemand, der es begreift , dachte Francis. Er streckte ihr seine Hand entgegen. Die Frau nahm sie und schüttelte sie.
» Ich heiße Francis Matthias. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Die Frau nickte. » Sind Sie Freund oder Feind?«
» Von Heidi?«, fragte er. » Ich würde mich nicht unbedingt als Freund bezeichnen. Dafür kenne ich sie nicht gut genug. Aber ich bin ganz sicher nicht ihr Feind. Ein Bekannter, könnte man vielleicht sagen.« Er wollte seine Hand zurückziehen, doch sie hielt sie fest. » Und darf ich fragen, wer Sie sind?«
» Lacy«, sagte sie. » Ich … ich kümmere mich um Heidi.« Sie ließ seine Hand los.
» Kann ich zu ihr?«, fragte Francis.
Lacy stand einen Moment lang einfach nur blinzelnd da, doch dann lächelte sie. » Warum nicht«, sagte sie. » Bitte kommen Sie rein.«
Lacy schob die Tür weiter auf und ging zur Seite. Lächelnd und nickend trat er ein.
Ich sollte aufstehen , dachte Heidi seit einer halben Stunde immer wieder. Ich muss raus. Ich muss Dinge erledigen. Aber sie hatte das Gefühl, ihren Körper nicht vollständig kontrollieren zu können. Sie schien ihren Leib zu bewohnen, ihn jedoch nicht mehr gänzlich auszufüllen, als existierte die Person Heidi nur noch an einer kleinen Stelle tief im Inneren und der Rest wäre Leere. Dadurch fühlte sich ihr Körper aufgedunsen und plump an.
Mit großer Anstrengung gelang es ihr, aus dem Bett zu steigen und ins Wohnzimmer zu gehen. Ihre Stiefel lagen dort auf dem Boden. Sie setzte sich auf die Chaiselongue und zog sie an. Ihre Kunstpelzjacke war zusammengeknüllt vor die Küchentür geworfen worden. Sie schlüpfte hinein und taumelte zur Wohnungstür.
Doch als sie die Tür öffnete, musste sie feststellen, dass sich dahinter nicht der Flur befand, sondern eine andere Manifestation ihrer Wohnung. Sie ging hinaus und fand sich verwirrt im selben Zimmer wieder.
Sie schloss die Tür und wartete. Als sie sie erneut öffnete, war die Wohnung noch immer auf der anderen Seite. Sie trat noch einmal hindurch, schritt von ihrer Wohnung in ihre Wohnung und sah sich um. Es hätte sich anfühlen müssen, als würde sie zurückgeworfen, doch so war es nicht. Sie blieb die ganze Zeit in derselben Wohnung. Sie konnte einfach nicht hinaus.
Wieder schloss sie die Tür und wartete, zählte langsam bis hundert. Ihr Herz schlug schneller, und sie versuchte, sich zu beruhigen und tief durchzuatmen. Dann sammelte sie sich, streckte die Hand aus und öffnete erneut die Tür.
Dieses Mal befand sich nicht ihre Wohnung, sondern nichts als ein
Weitere Kostenlose Bücher