Lords of Salem: Roman (German Edition)
Fühlte sie sich dadurch besser? Gab es überhaupt etwas, das sie aufmuntern könnte?
Sie wusste es nicht. Nein. Keine Ahnung.
Alice war kaum aus der Wanne gestiegen, da stand er schon dort und hielt ihr den Bademantel, um ihr hineinzuhelfen. Sie seufzte, ließ ihn sich jedoch umhängen.
» Ich ziehe nur kurz …«
» Nicht nötig«, unterbrach er sie. » Es ist nicht verboten, im Bademantel Klavier zu spielen. Du hast nachher noch genug Zeit, dich anzuziehen.«
Sie protestierte kurz, gab dann aber nach, weil sie es für besser hielt, es hinter sich zu bringen, als noch mehr Zeit mit Diskussionen zu vergeuden.
Sie ließ sich von ihm an der Hand aus dem Zimmer und zur Klavierbank führen. Sein Hexenbuch lag schon auf dem Klavier, aufgeschlagen bei Hawthornes Tagebucheintrag für den 16. September 1692.
Francis fuhr mit dem Finger über die Seite und tippte auf eine Reihe von Noten, die an den unteren Rand gezeichnet waren. Daneben befand sich ein seltsames Symbol, ein Kreis mit einem Kreuz und anderen Strichen darin. Und zwei Punkten.
» Das Zeichen«, sagte Francis und wies darauf. » Es war auf der Hülle der Platte, die sie gespielt haben.«
» Genau dasselbe Zeichen?«, fragte Alice. » Oder nur eines, das so ähnlich aussah?«
Francis schüttelte den Kopf. » Ich bin fast sicher, dass es dasselbe war.«
» Fast sicher«, sagte sie. » Aber nicht ganz.«
Er ignorierte sie und kehrte mit dem Finger zu den Noten zurück. » Okay«, sagte er. » Die Noten hier unten am Rand, kannst du die spielen?«
» Natürlich. Meine Mutter hat nicht umsonst zwölf Jahre Klavierunterricht bezahlt.«
» Natürlich nicht«, sagte Francis. » Lass hören.«
Sie betrachtete die Noten genauer. Es gab nur eine Notierung im Violinschlüssel, und sie war etwas merkwürdig. Statt fünf Linien gab es bloß vier, deshalb musste sie spekulieren, in welcher Tonhöhe das Ganze begann und welche Linie fehlte. Vielleicht war es auch ein anderes Notationssystem. Trotzdem versuchte sie es.
» Das stimmt nicht, oder?«, fragte Francis.
Sie schüttelte den Kopf. Nein, es klang nicht richtig. Sie verschob ihre Finger ein Stück nach rechts und probierte es erneut. Dieses Mal klangen der erste Akkord und die folgenden Töne disharmonisch, aber das schien Absicht, als wären sie Teil einer größeren Komposition.
» Ich glaube, das ist es«, sagte sie.
Francis nickte. Er ging zur Stereoanlage und startete das Tapedeck. Es war die Kassette mit der Radioaufnahme, stellte Alice fest, das Ende von Francis’ Auftritt. Jemand kündigte die Lords an, und die Musik begann.
Francis ließ das Band einen Moment laufen, dann drückte er auf Stopp.
» Ist es dasselbe?«, fragte er.
Alice zog die Brauen hoch. Sie war sich schon ziemlich sicher, aber sie spielte die Noten trotzdem noch einmal auf dem Klavier. Währenddessen spulte Francis die Kassette ein Stück zurück, und als Alice fertig war, ließ er sie ein zweites Mal laufen.
» Ja«, sagte sie. » Ausgeschmückt, aber im Grunde dasselbe. Und?«
» Findest du das nicht merkwürdig?«
Alice lachte. » Eigentlich nicht. Du hast selbst gesagt, dass das Zeichen auf der Platte war. Offenbar hat noch jemand anderes dieses Buch gelesen und den Namen, die Melodie und das Zeichen übernommen. Kein großes Rätsel.«
Francis runzelte die Stirn. Er setzte sich neben sie auf die Bank.
» Spiel es noch mal«, sagte er.
Alice spielte die Noten wieder und wieder. Sie seufzte. Es würde wahrscheinlich Nachmittag werden, bis er zuließ, dass sie sich anzog.
In ihrer Wohnung fand sich Heidi auf dem Bett sitzend wieder. Wie lang sie schon so dagesessen hatte, konnte sie nicht sagen. Immer wieder kam sie zu sich, dachte daran aufzustehen und etwas zu tun, doch ehe sie sich aufraffen konnte, war sie schon wieder in ihrer Starre versunken.
Nach einer Weile blickte sie auf, um etwas anzusehen. Was? Sie wusste es nicht genau. Irgendetwas hing über dem Bett. Sie spürte es, aber nein, dort war nichts, nur Leere. Aber warum zog es ihren Blick ständig nach oben? Etwas stimmte mit der Luft dort nicht, sie war dichter, als Luft sein sollte. Sie konnte nichts erkennen, trotzdem spürte sie, dass dort etwas war.
Ich muss aufstehen , sagte sie sich. Ich muss hier raus. Doch sie verspürte kein Bedürfnis, sich zu bewegen. Jedes Mal, wenn sie sich rühren wollte, fühlte es sich an, als wäre jegliche Energie aus ihrem Körper entwichen.
Sie beobachtete, wie das Sonnenlicht, das durchs Fenster fiel, sich
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