Lords und Ladies
den jungen Stibbons hören sollen. Sprach davon, daß ich mich nicht zu meiner eigenen Hochzeit eingeladen habe!«
Ein Eisvogel sauste zum Fluß und tauchte so hinein, daß sich das Wasser kaum kräuselte. Eine halbe Sekunde später kam er wieder zum Vorschein und flog mit einem silbrigen, zuckenden Etwas im Schnabel fort.
»Der Kerl quasselte dauernd davon, alles geschähe zur gleichen Zeit und so«, fuhr Ridcully mürrisch fort. »Als wenn man überhaupt nicht die Wahl hätte oder was weiß ich. Man entscheidet einfach nur, durch welches Hosenbein der Zeit man kriecht. Stibbons meinte zum Beispiel, daß wir tatsächlich geheiratet hätten. Seiner Ansicht nach sind alle Möglichkeiten, selbst die absurdesten, irgendwo Realität. Mit anderen Worten: Es existieren viele tausend Versionen von mir, die nie Zauberer wurden – und Hunderte von Esmes, die… Briefe beantworteten. Ha! Für sie sind wir etwas, das gewesen sein könnte. Ich frage dich: Sollte ein junger Zauberer über solchen Unfug nachdenken, hm?
Als ich mit dem Studium begann, war der alte Tudgy Spold Erzkanzler. Wenn ein junger Zauberer so dumm gewesen wäre, ihm gegenüber von derartigen Dingen zu sprechen, so hätte er einen Zauberstab an den Hinterkopf bekommen, jawohl!«
Irgendwo tief unten sprang ein Frosch von einem Stein.
»Meine Güte, seit damals haben wir alle eine Menge Wasser gelassen.«
Es dämmerte Ridcully, daß aus dem Dialog ein Monolog geworden war. Er wandte sich an Oma, die aus weit aufgerissenen Augen in den Fluß sah, als hätte sie nie zuvor Wasser gesehen.
»Dumm, dumm, dumm«, sagte sie.
»Wie bitte? Ich habe doch nur…«
»Ich meine nicht dich, sondern mich selbst. Ja, ich bin dumm. Aber ich bin nicht blöd. Ha! Und ich dachte, mein Gedächtnis ließe mich im Stich! Das Gegenteil ist der Fall! Es erinnert sich an mehr als vorher!«
»Was?«
»Ich hatte schon Angst! Ich! Dachte, ich könnte nicht mehr klar denken! Und dabei habe ich klar gedacht, die ganze Zeit über!«
»Hä?«
»Nun… Es liegt mir fern zu behaupten, daß mir dieser… kleine Ausflug nicht gefallen hat«, sagte Oma. »Aber jetzt muß ich zurück. Schnipp noch einmal mit den Fingern. Und zwar schnell.«
Eine gewisse Verlegenheit zeichnete sich in Ridcullys Zügen ab.
»Das geht leider nicht«, entgegnete er.
»Eben ging’s.«
»Und genau deshalb geht’s jetzt nicht mehr. Die Transmigration ist ziemlich anstrengend.«
»Früher hast du’s oft angestellt, wenn ich mich recht entsinne«, sagte Oma Wetterwachs. Sie riskierte ein Lächeln. »Deine Füße haben kaum den Boden berührt.«
»Früher war ich jünger. Heute ist einmal genug.«
Omas Stiefel knarrten, als sie sich umdrehte und in Richtung Stadt marschierte. Ridcully folgte ihr hastig.
»Warum so eilig?«
»Habe wichtige Dinge zu erledigen«, antwortete Oma, ohne den Kopf zu drehen. »Darf die Leute nicht enttäuschen.«
»Manche Leute wären vielleicht bereit, dies hier für wichtig zu halten.«
»Nein. Dabei handelt es sich nur um eine persönliche Angelegenheit. Und persönliche Angelegenheiten sind nicht automatisch wichtig – auch wenn diese Ansicht weit verbreitet ist.«
»Du machst es schon wieder !«
»Was denn?«
»Ich weiß nicht, wie jene andere Zukunft gewesen wäre«, sagte Ridcully. »Aber was mich betrifft… Ich hätte sie wenigstens gern mal ausprobiert.«
Oma zögerte, plötzlich erleichtert. Sollte sie von den Erinnerungen erzählen? Sie öffnete den Mund – und überlegte es sich anders. Nein. Sie wollte keine Rührseligkeit bei Ridcully provozieren.
»Ich wäre ständig griesgrämig und schlecht gelaunt gewesen«, sagte sie statt dessen.
»Völlig klar.«
»Ha! Und was ist mit dir? Ich hätte deine Frauengeschichten ertragen müssen. Und sicher wärst du häufig betrunken nach Hause gekommen und so.«
Ridcully wirkte verwirrt.
»Welche Frauengeschichten?«
»Wir sprechen hier von Dingen, die gewesen sein könnten .«
»Ich bin Zauberer! Bei Zauberern gibt es keine Frauengeschichten. Es gibt Gesetze, die das verbieten. Nun, es sind keine Gesetze in dem Sinne, eher Regeln. Beziehungsweise Richtlinien.«
»Wir reden von einem Leben, das du ohne Zauberei verbracht hast.«
»Und ich bin fast nie betrunken.«
»Als mein Ehemann wärst du’s häufig gewesen.«
Ridcully faßte sich wieder.
»Selbst der junge Ponder faselt nicht so ein Zeug«, stellte er fest. »Du hast dich selbst davon überzeugt, daß wir unsere gemeinsame Vergangenheit verabscheut
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