Lords und Ladies
in den Flur spähen und vielleicht sogar nach Nanny rufen sollen. Doch nichts dergleichen geschah.
Nanny schüttelte den Kopf. Sie kannte mindestens drei Methoden, um das Zimmer zu betreten, und nur eine davon erforderte es, die Tür zu passieren. Aber dies war weder der geeignete Zeitpunkt noch der richtige Ort für Hexerei. Nanny Ogg hatte deshalb ein im großen und ganzen recht glückliches Leben geführt, weil sie wußte, wann sie besser darauf verzichtete, Hexe zu sein. Zum Beispiel jetzt.
Sie ging die Treppe hinunter und verließ das Schloß. Shawn hielt am Haupttor Wache und übte heimlich Karateschläge, wobei ihm die Nachtluft als Gegner diente. Als sich Nanny Ogg näherte, unterbrach er sein Training verlegen.
»Ich würde auch gern die Vorstellung besuchen, Mama.«
»Bestimmt wird der König sehr großzügig sein, wenn es darum geht, dich für deine Dienste zu entlohnen«, erwiderte Nanny. »Erinnere mich daran, ihn daran zu erinnern.«
»Willst du dir die Vorstellung nicht ansehen?«
»Ich… Ich mache einen kleinen Spaziergang in der Stadt. Vermutlich hat Esme die anderen begleitet, nicht wahr?«
»Weiß nicht, Mama.«
»Nun, ich muß da noch ein paar Dinge erledigen.«
Sie war nur einige Meter weit gekommen, als eine Stimme hinter ihr erklang. »Hallo, o Mond meines Entzückens.«
»Du schleichst dich regelrecht an die Leute heran, Casanunda.«
»Wir speisen im Ziege-und-Busch«, entgegnete der Zwerg und angebliche Graf.
»Oh, das ist ein sehr teures Restaurant«, sagte Nanny Ogg. »Dort habe ich noch nie gegessen.«
»Angesichts der vielen illustren Hochzeitsgäste bietet man dort besondere kulinarische Spezialitäten an«, sagte Casanunda. »Ich habe mir erlaubt, ein Menü zusammenzustellen.«
Was nicht sehr leicht gewesen war.
Das Konzept, Essen als Aphrodisiakum zu verwenden, hatte in Lancre nie konkrete Anwendung gefunden – sah man einmal von Nanny Oggs berühmter Mohrrüben-und-Austern-Pastete ab. * Nach Meinung des Kochs der Taverne Ziege-und-Busch bestand die einzige Verbindung zwischen Nahrungsmitteln und Sex in bestimmten humorvollen Gesten, die vor allem Gurken betrafen. Doch von Schokolade, Bananenschalen, Avocadobirnen, Ingwer, Marshmallows und den tausend anderen Dingen, die gelegentlich verwendet wurden, um im Verkehrschaos der Romantik von einer verstopften Straße zur nächsten vierspurigen Autobahn zu gelangen, hatte er nie etwas gehört. Casanunda hatte ihm seine gastronomischen Vorstellungen zehn Minuten lang erklärt, und anschließend hatte ziemlich viel Geld den Besitzer gewechselt.
Es ging Casanunda um ein sorgfältig vorbereitetes romantisches Abendessen. Er glaubte fest an die Kunst der Verführung.
Viele hochgewachsene Frauen, die mit Hilfe einer Trittleiter erreicht werden konnten, hatten sich über ihn gewundert. Bei den Zwergen bestand die bereits erwähnte Kunst der Verführung schließlich hauptsächlich darin, mehr oder weniger taktvoll herauszufinden, welches Geschlecht sich unter Leder, Kettenhemd und Bart eines anderen Zwergs verbarg. Wie konnte ein solches Volk ausgerechnet einen Casanunda hervorgebracht haben?
Genausogut durfte man von Eskimos erwarten, daß sie einen Fachmann für seltene tropische Pflanzen präsentierten. Die enormen gestauten Wassermengen der Zwergensexualität hatten ein Leck ganz unten am Damm gefunden: Es mochte klein sein, entfaltete jedoch genug Kraft, um einen Dynamo anzutreiben.
Jene Aktivitäten, die alle anderen Zwerge nur dann gelegentlich entfalteten, wenn die Natur es von ihnen verlangte… Casanunda beschäftigte sich praktisch unablässig damit. Ob im rückwärtigen Bereich einer Sänfte oder mit dem Kopf nach unten in einem Baum hängend – er ging mit großer Sorgfalt vor und zeigte typisch zwergenhafte Aufmerksamkeit fürs Detail. Zwerge konnten monatelang an einem besonders kunstvollen Schmuckstück arbeiten, und aus ähnlichen Gründen war Casanunda ein willkommener Gast an vielen Höfen – wobei es ein sonderbarer Zufall wollte, daß er immer dann eintraf, wenn der Hausherr nicht zugegen war. Darüber hinaus kam er gut mit Schlössern zurecht, ein nützliches Talent, wollte man peinliche Momente sur la boudoir vermeiden.
Nanny Ogg war keine schöne, aber eine attraktive Frau. Casanunda war von ihr fasziniert. In ihrer Nähe fühlte man sich sehr wohl, was unter anderem an ihrer Aufgeschlossenheit lag. Die Persönlichkeit vieler Leute bot gerade genug Platz für eine Kammer, in der ein großer
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