Lords und Ladies
Der Kater stank, war unzuver-
lässig, gemein und rachsüchtig – aber er konnte auch schnurren und be-
kam jeden Abend einen Napf mit frischer Milch.
»Habt ihr nicht gehört? Öffnet endlich!«
Nach einer Weile wurde der Riegel beiseite geschoben, und ein Auge
erschien an einem sehr winzigen Spalt.
»Ja?«
»Du bist Fuhrmann, der Bäcker, nicht wahr?«
»Ich bin Weber, der Dachdecker.«
»Und weißt du, wer ich bin?«
»Fräulein Knoblauch?«
»Laß mich rein!«
»Bist du allein?«
»Ja.«
Der Spalt verbreiterte sich, bis er Magrat genug Platz bot.
Im Zimmer dahinter brannte eine Kerze. Weber wich zurück, bis er
auf eine ziemlich unbequeme Weise am Tisch lehnte. Magrat sah an ihm
vorbei.
Die übrigen Familienmitglieder hockten unterm Tisch. Vier Augenpaa-
re blickten furchtsam zu Magrat auf.
»Was geht hier vor?« fragte sie.
»Äh…«, antwortete Weber. »Habe dich mit dem Flügelhelm zuerst
nicht erkannt, Fräulein…«
»Solltest du nicht bei der Vorstellung sein? Was ist passiert? Wo sind
denn alle? Wo ist mein zukünftiger Gemahl?«
»Äh…«
Ja, wahrscheinlich lag es tatsächlich am Helm. Das vermutete Magrat später. Bestimmte Gegenstände – zum Beispiel Schwerter, Zaubererhüte,
Kronen und Ringe – übernehmen etwas vom Wesen ihrer Eigentümer.
Königin Ynci hatte wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben keine Tapisse-
rie gesehen, und zweifel os war ihr Vorrat an Geduld schon nach kurzer
Zeit zur Neige gegangen, möglicherweise bereits nach einigen New Yor-
ker Sekunden.* Derzeit hielt es Magrat für besser zu glauben, daß der
Helm tatsächlich etwas von Yncis Selbst beinhaltete – etwas, das sich
nun wie eine ansteckende Krankheit auf sie übertrug. Mit Situationen wie
der gegenwärtigen kam Ynci sicher besser zurecht.
Sie packte Weber am Kragen.
»Wenn du noch einmal ›äh‹ sagst, hacke ich dir die Ohren ab.«
»Äh… oh, ich meine… es sind die Herren und Herrinnen, Fräulein
Königin!«
»Es stecken wirklich die Elfen dahinter?«
»Bitte!« stieß Weber flehentlich hervor. »Nenn nicht den Namen! Wir
haben gehört, wie sie durch die Straßen zogen, Dutzende von ihnen. Sie
* Die kürzeste Zeiteinheit im Multiversum ist die sogenannte »New Yorker
Sekunde«. Sie ist als jene Zeitspanne definiert, die nach dem Aufleuchten des grünen Ampellichts bis zum ersten Hupen des Taxis hinter einem vergeht.
haben die Kuh des alten Dachdeckers gestohlen, und dann auch noch
Skindels Ziege. Sie brachen Türen auf und…«
»Warum hast du eine Schüssel mit Milch nach draußen gestel t?« fragte
Magrat.
Webers Mund öffnete und schloß sich mehrmals. »Weißt du«, brachte
er schließlich hervor, »meine Eva sagte, daß ihre Oma immer eine kleine
Schüssel mit Milch für sie rausgestellt hat, damit sie sich freuen und zu-
frie…«
»Ich verstehe«, unterbrach Magrat den Mann kühl. »Und der König?«
»Der König?« wiederholte Weber, um etwas Zeit zu gewinnen.
»Der König«, bestätigte Magrat. »Eher klein, tränende Augen, abste-
hende Ohren – im Gegensatz zu jemandem, der gleich keine Ohren
mehr haben wird.«
Webers Finger waren ständig nervös in Bewegung, wie Schlangen, die
nicht genau wußten, in welche Richtung sie fliehen sol ten.
»Nun… nun… nun…«
Er sah Magrats Gesichtsausdruck und gab nach.
»Das Stück wurde aufgeführt«, sagte er. »Mehrmals habe ich vorge-
schlagen, statt dessen den Stock-und-Eimer-Tanz zu tanzen, aber sie
wol ten nicht auf mich hören. Ja, und deshalb führten wir das Stück auf,
und zuerst ging alles gut, und dann, und dann, und dann… Plötzlich
erschienen sie, zu Hunderten, und alle liefen weg, und jemand rempelte mich an und da bin ich in den Fluß gefal en, und dann gab’s überal diese
komischen Geräusche, und ich sah, wie Jason Ogg vier Elfen nieder-
schlug, und zwar mit dem ersten Gegenstand, den er zur Hand be-
kam…«
»Mit einem anderen Elfen?«
»Ja, und dann fand ich Eva und die Kinder, und viele Leute flohen
nach Hause, und wir begegneten ihnen, sie saßen auf Pferden, und ich hörte sie lachen, und schließlich trafen wir hier ein, und Eva meinte, ich
sol te ein Hufeisen an die Tür nageln, und…«
»Was ist mit dem König?«
»Keine Ahnung. Als ich ihn zum letztenmal sah, lachte er über Dach-
deckers Strohperücke.«
»Und Nanny Ogg und Oma Wetterwachs? Was ist mit ihnen passiert?«
»Weiß nicht. Hab’ sie nirgends gesehen. Überal hat es von Leuten
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