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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einen Augenblick lang, dann sagte sie: »Hier gibt es nichts, das mich hält.« Sie dachte an E r land, und der Gedanke schmerzte. Sie verdrängte ihn ha s tig. »Wissen die Naddred, dass du hier bist?«
    Er hob die Schultern. »Vielleicht spüren sie es. Mit ziemlicher Sicherheit sogar. Aber es wird eine Weile dauern, ehe sie den genauen Ort herausfinden. Und auch dann müssen sie erst über den Fluss kommen. Sie sind keine wirklichen Magier. Sie fliegen nicht oder springen von einem Ort zum anderen. Zumindest habe ich noch nichts davon gehört.«
    »Anders als du.«
    »Ich – ein Magier?« Er lachte leise. »Nein, ein Magier bin ich nicht. Falls es tatsächlich so etwas wie Zaube r sprüche gibt, so kenne ich keinen einzigen davon.«
    »Aber du verschwindest! Die Melodie lässt dich ve r schwinden. Ich habe es ges e hen, damals.«
    Er tätschelte seine Sackpfeife wie ein Schoßtier. »M a gisch ist nur die Melodie, nicht der, der sie spielt.«
    »Macht das einen Unterschied?«
    »Du wirst all das erfahren, sobald wir von hier fort sind.«
    »Mit Hilfe der Melodie?«
    »So ist es.«
    »Warum willst du mir überhaupt helfen?«
    Er sah zu Boden, und Ailis fragte sich erstaunt, ob er tatsächlich verlegen war. »Nun«, begann er zögernd, »ich fürchte, das Auftauchen der Naddred ist meine Schuld.«
    »Wieso das?«
    Er machte einen Schritt auf sie zu und nahm ihre Hand. »Bitte, Ailis! Ich erkläre dir alles, aber nicht jetzt. Und nicht hier. Es gibt einen Ort, der besser geeignet ist für solche Gespräche.«
    »In Faerie?«, fragte sie aus dem Bauch heraus.
    »Gott bewahre!«, stieß er aus. »Ich kenne weder den Weg dorthin, noch habe ich den Wunsch, ihn jemals zu gehen.« Er schüttelte vehement den Kopf. »Nein, Faerie ist kein Ort für uns Menschen.«
    »Warum brauchen die Naddred überhaupt so viel Zeit, um das Tor zu öffnen?«, fragte sie und zog ihren Übe r wurf enger, als ein eiskalter Luftzug durch die Wälder strich. »Das Echo ist fort, es gibt keinen Wächter mehr.«
    »Ich denke, du bist hinuntergestiegen? Dann hast du gesehen, dass es so einfach nicht ist. Es gehören aufwä n dige Rituale dazu, das Tor von dieser Seite aus aufzust o ßen. Die Naddred kennen sie, aber es dauert eine Weile, sie auszuführen.«
    »Kann denn Titania nicht einfach einen neuen Wäc h ter schaffen?«
    »Das Tor ist fest an seinen Wächter gebunden. So la n ge das Echo existiert, existiert auch das Tor. In gewisser Weise ist das Echo das Tor und umgekehrt. Es ist schwierig. Titania kann kein neues Echo erschaffen, denn es ist die Welt selbst, die sie erschafft. Tausende von Ja h ren können vergehen, ehe ein neues entsteht. Wenn sich die Berge verschieben, wenn sich neue Täler und Schluchten und Gipfel bilden, dann reißt manchmal das Gefüge unserer Welt auf, und es entsteht ein solches Tor und mit ihm sein Wächter. Niemand kann eines von be i dem auslöschen, nicht einmal die Zaube r kraft der Feen.« Er raufte sich ungeduldig das Haar. »Aber wir sollten später darüber – «
    »Nein«, sagte Ailis mit fester Stimme. »Ich will es jetzt wissen. Bevor ich dir folge, will ich verstehen, w a rum ich das überhaupt tue.«
    Er seufzte und ließ seinen Blick besorgt über die Schatten zwischen den Bäumen wandern. »Schon Vo r jahren kündigte sich an, dass sich das Echo vom Lurli n berg veränderte. Etwas geschah mit ihm – in menschl i chen Begriffen ausgedrückt könnte man sagen, es verlor nach all den Äonen seiner Existenz den Verstand. Es öf f nete die eine Seite des Tors, und einigen Bewohnern von Faerie gelang es, hindurchzugehen und Unheil zu stiften. Höfe und Dörfer gingen in Flammen auf, mehrere Fam i lien kamen ums Leben. Für die Eindringlinge war das alles nur ein Spiel, alberne Streiche, die sie den Me n schen spielten. Die Wesen von Faerie sind nicht weise genug, um die Folgen ihrer Taten zu begreifen, und sie verstehen nicht, dass die Auswirkungen ihres Treibens hier ganz andere sind als daheim im Feenreich. In ihrer Not wandte sich die Gräfin an Titania und bat sie um Hi l fe. Die Königin erklärte ihr das Gleiche, was ich dir eben sagte – dass sie nämlich ein Echo nicht vernichten kann, und ebenso wenig liegt es in ihrer Macht, das Tor für immer zu schließen. Allerdings ersann sie einen Ausweg: Es könne ihr gelingen, so sagte sie, das Echo in einem menschlichen Körper zu bannen. Dadurch würde es zwar nicht zerstört, immerhin aber erheblich in seiner Macht eing e schränkt. Allerdings

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