Loretta Chase
stand.
Darius
malte sich Lady Charlotte ebenso nackt aus wie Botticellis Venus, der sie so
sehr ähnelte. Jeder Mann würde es ihm gleichgetan haben, ob nun mit oder ohne
Kenntnis des Gemäldes.
Es sich
auszumalen war legitim. Seinen Blick schweifen zu lassen fatal. Selbst er
wusste, dass man eine unverheiratete Dame nicht mit lüsternem Blick betrachtete
– noch dazu in aller Öffentlichkeit und unter ihres Vaters Dach! Tat man es
dennoch, fand man sich bald a) vor dem Altar wieder oder b) mit zwanzig Schritt
Entfernung einer Pistolenmündung gegenüber.
Sich wegen
einer Frau bis aufs Blut zu bekämpfen war weit verbreitet und im Tierreich
durchaus zu tolerieren. Unter vernunftbegabten Wesen jedoch war ein solches
Verhalten absurd. Insbesondere dann, wenn das vernunftbegabte Wesen unter gar
keinen Umständen ihren Vater brüskieren wollte.
Hastig lenkte
Darius seine Aufmerksamkeit wieder aufwärts, weg von dem jungfräulich rosigen
Hauch, der so verlockend ihre Haut überzog.
Doch zu
spät. Mord und Totschlag funkelten ihm aus eisblauen Augen entgegen. So hatte
sie eben schon geschaut, als er über ihre vorherige Begegnung zu scherzen
begonnen hatte. Sie würde mich am liebsten erwürgen, hatte er gedacht und hätte
es gerne darauf ankommen lassen. Das wäre gewiss amüsant geworden.
Aber sie
hatte dann doch nicht versucht, ihn zu erwürgen, und tat es auch nun nicht.
Sehr zu seiner Überraschung bedachte sie ihn mit einem verschwörerischen
Lächeln. Dann beugte sie sich gar ein wenig vor und gewährte ihm einen
besseren Blick auf ihre perfekt gerundeten Brüste, von denen das enge Mieder
ihres Kleides, tatkräftig unterstützt von einem erhebenden Korsett, weit mehr
zur Geltung brachte, als für eine Jungfrau schicklich schien.
All seine
Selbsterhaltungsinstinkte regten sich. Ebenso wie seine Fortpflanzungsorgane.
»Mr.
Carsington«, hauchte sie.
Eine Falle!
Eine Falle!, schrie die Logik. Rette sich, wer kann!
»Lady
Charlotte«, sagte er argwöhnisch.
»Lassen Sie
uns die Etikette vergessen«, sagte sie. »Meine Eltern sind mit anderen
Gästen befasst.«
Darius
wusste, dass auch er sich sofort nach der Vorstellung mit anderen Gästen hätte
befassen sollen. Er wollte sich abwenden.
Ganz leicht
berührte sie seinen Arm.
Sein
Herzschlag legte kräftig zu.
Darius sah
hinab auf die behandschuhte Hand, die kaum seinen Arm berührte. Er sah hinauf
in ihr schönes – viel zu schönes – Gesicht.
In dem noch
immer das verschwörerische Lächeln stand. »Ich könnte mir denken, dass Sie gern
Ihre Nachbarn kennenlernen würden«, sagte sie. »Es wäre mir eine Ehre, Sie
vorzustellen. Ich übernehme oft Aufgaben für Papa. Wir geben hier recht wenig
auf Etikette – und er scheint sehr vertieft in sein Gespräch mit dem
Pfarrer.« Während sie sprach, führte sie Darius von ihren Eltern fort und
zu einigen Leuten, die am anderen Ende des Salons beisammenstanden.
Im letzten
Augenblick jedoch schlug sie eine andere Richtung ein und steuerte mit ihm auf
eine beleibte Rothaarige zu, die am Pianoforte stand und in den Notenblättern
las. Wie er kurz darauf erfuhr, hieß sie Henrietta Steepleton. Sie war eine
junge Witwe mit atemloser Stimme – zweifellos die Folge ununterbrochenen
Redens, bei dem sie das Atmen vergaß.
Sowie Mrs.
Steepleton zu reden begann, verließ Lady Charlotte sie.
Ehe sie
sich abwandte, sah Darius noch, wie ihr höflich unverbindliches Lächeln einem
süffisanten Grinsen wich.
Salon von
Lithby Hall,
dreieinhalb Stunden später
»Es wäre
weniger grausam gewesen, mich zu erwürgen«, klagte Mr. Carsington.
Charlotte blieb wie angewurzelt stehen. Tee schwappte über den Rand ihrer
Tasse. Sie atmete tief durch und befahl ihren Händen, nicht zu zittern.
Sie hatte
ihn nicht kommen hören. Auch jetzt hörte sie ihn weniger, als dass sie seine
Stimme spürte. Ihr Rücken prickelte, als habe er sie berührt.
»Das wäre
sehr unhöflich gewesen«, sagte sie und ging weiter. Mrs. Badgeley, die
Pfarrersfrau, saß am anderen Ende des Salons nahe des Kamins, in dem an diesem
warmen Juniabend ausschließlich ihretwegen ein behagliches Feuer brannte. Mrs.
Badgeley plagten ihre Gelenke. Selbst wenn sie nicht Papas Cousine gewesen
wäre, hätte man alles für ihr Wohlergehen tun müssen. Man sollte stets alles
für das Wohlergehen seiner Gäste tun.
Von
Ausnahmen abgesehen. Alles hatte seine Grenzen, auch für die beste aller
Töchter.
»Unhöflich«,
wiederholte er. »Interessant. Was hielten
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