Loretta Chase
haben.«
»Nee, das
war nicht Waterloo«, beharrte einer der Gäste. »Er ist bei Baltimore
gefallen, im Krieg mit den Amerikanern.«
»Der war
überhaupt kein Offizier«, wusste ein anderer. »So ein Graf Irgendwas, der
mit dem russischen Zaren zur Siegesfeier nach London gekommen ist. Hat sich ein
Fieber eingefangen und ist elendig zugrunde gegangen.«
Es folgte
eine lebhafte Auseinandersetzung.
In den
Stallungen des Gasthofs wurde eine weniger romantische Sichtweise vertreten.
Lady Charlotte hatte ihr Herz nicht im Grab eines schnittigen Offiziers oder
ausländischen Adeligen begraben. Der Grund, weshalb sie nicht verheiratet war,
war ganz einfach: Ihr war einfach keiner gut genug.
»Verstehe«,
sagte Darius. »Ihre Verehrer waren ihr nicht ebenbürtig.«
»O nein,
Sir«, entgegnete einer der Stallburschen. »Hinter der war sogar ein Duke
her. Und ein Marquess.«
»Und
letztes Jahr der älteste Sohn eines Earls«, meinte ein anderer. »So ein
ganz perfekter.«
Einer
seiner Kollegen stieß ihn an und raunte ihm etwas zu, worauf hin der Bursche
ziemlich verlegen dreinsah.
Doch Darius
wusste natürlich längst, dass sie seinen ältesten Bruder Benedict meinten, den
tadellosen Lord Rathbourne, weithin als Lord Perfect bekannt. »Nun, wenn ihr
nicht einmal Lord Perfect gut genug war, dann hat die Dame vielleicht eine
äußerst hohe Meinung von sich selbst?«, fragte Darius. Ihm gegenüber war
sie ziemlich hochmütig gewesen, was seinen Stolz doch ein wenig verletzt hatte
– natürlich nur, weil er derlei albernes Getue nicht gewohnt war,
wie er sich sagte.
»Nein, die
ist überhaupt nicht eingebildet, Sir«, versicherte ihm der erste
Stallbursche.
»Gibt keine
nettere Dame weit und breit«, meinte der andere.
»Nie ein
böses Wort gegen irgendwen.«
»Immer ein
Lächeln und bedankt sich selbst für die kleinsten Sachen.«
»Finden
übrigens alle Bediensteten hier in der Gegend.«
»Auch die
Damen. Alle mögen sie.«
Es folgten
Ruhmesgeschichten über die Liebenswürdigkeiten, mit denen Lady Charlotte
Hayward ihre Mitmenschen ungeachtet ihres Ranges bedachte.
Darius
versuchte, das Gehörte mit der Frau, der er heute begegnet war, zu vereinen. Es
war schlicht unvereinbar. Es konnte sich nicht um dieselbe Dame handeln. Und
doch musste es so sein.
Er ließ
sich das Problem durch den Kopf gehen, betrachtete es erst von der einen, dann
von der anderen Seite. Es blieb ihm ein Rätsel.
Wie
ärgerlich. Er hatte wirklich Wichtigeres zu tun, als sich einer Frau wegen den
Kopf zu zerbrechen, mit der er nicht mal seinen Spaß haben konnte.
Das Problem
war, dass Darius Carsington trotz all seiner Fähigkeiten ebenso unfähig war,
eine ungeklärte Frage auf sich beruhen zu lassen, wie er unfähig war, einer
Herausforderung seiner beachtlichen Fähigkeiten zu widerstehen. Was ja
praktisch auf dasselbe hinauslief. Und sie war ihm ein Rätsel.
»Kurzum«,
fasste er leicht gereizt zusammen, »die Dame ist eine wahre Heilige.« Die
Männer schauten sich schweigend an. »Na ja«, meinte einer schließlich,
»ich weiß nicht, ob ich das so sagen würde.«
Am selben Abend
im Salon von Lithby Hall
Beim ersten Mal hatte Mr. Carsington
Charlotte unvorbereitet angetroffen.
Diesmal war
sie bestens vorbereitet. Ihr Kopf war klar, ihr Betragen wie es sich gehörte.
Sie trug ihr in Gesellschaft zu tragendes Lächeln und hielt alle
dreiundachtzigtausendsechshundertsiebenundfünfzig Anstandsregeln im Geiste
parat.
Und doch
... Als Mr. Carsington dann kam und einen dramatisch perfekt kalkulierten
Moment im Türrahmen stehen blieb, verspürte sie einen kurzen Schlag, als hätte
sie einen dieser magnetischen Apparate berührt, von denen ihre kleinen Cousins
so fasziniert waren.
Dunkel
wurde sie gewahr, dass auch andere sich seiner Wirkung nicht entziehen konnten.
Alle wandten den Kopf in seine Richtung, und aus vielen Gesichtern –
vorzugsweise weiblichen – sprach mehr als reine Neugier hinsichtlich des
Neuankömmlings.
Das
Kerzenlicht ließ sein Haar golden schimmern und die von Wind und Wetter
gebräunte Haut erstrahlen. Wieder schien er ihr wie ein strahlender Gott
inmitten gewöhnlicher Sterblicher.
Apollo, das
war es, gar keine Frage. Der Sonnengott, ganz schimmerndes Gold. Seine Haare.
Seine Augen.
Und wie es
sich für einen Gott gehörte, wirkte er überlebensgroß, füllte mit seiner großen
und kräftigen Statur beinahe den Türrahmen aus.
Aber er war
kein Gott, rief sie sich in Erinnerung. Sondern ein Mann –
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