Loretta Chase
ihre Hände von seinem Hals. Doch dann küsste er
sie, erst die Handrücken, dann die Fingerknöchel, jeden einzeln. Und
schließlich legte er ihre Hände auf sein Herz, das schwer, aber noch stetig
schlug, und hielt sie dort.
Ihr Duft
stieg ihm in die Nase und erfüllte all seine Sinne, ein reiner und lichter
Hauch, wie eine Blumenwiese nach einem Regenschauer. Er senkte den Kopf und
vergrub die Nase in ihrem Haar, ließ die seidigen Locken über sein Gesicht
streichen. Sie schmiegte sich an ihn, die Hände noch immer auf seinem Herz, das
nun heftiger schlug.
Die eine
Hand noch immer auf der ihren, legte er den anderen Arm um sie, barg ihren Kopf
in der Beuge. Sie schaute zu ihm auf, und er hätte ewig so stehen und in die
klare blaue Tiefe ihrer Augen blicken können.
Sie hatten
aber nicht ewig Zeit. Ihnen blieb nur dieser eine, ungestörte Augenblick, diese
Insel der Ruhe inmitten seines heruntergekommenen Hauses mit den Heerscharen
emsiger Dienstboten und eilfertiger Arbeiter.
Er neigte
den Kopf und berührte ihre Lippen mit den seinen. Er spürte ihren Mund unter der
zarten Berührung erbeben. Sein angeblich so kleines, kaltes Herz hätte nichts
spüren dürfen. Eigentlich.
Doch er
spürte etwas, einen Anflug von Gefühlen, die geradewegs auf sein Herz zielten,
und er setzte dem Beben mit einem Kuss ein Ende. Ein fester und entschiedener,
ein abschließender Kuss.
Das hätte
genügen sollen. Höchste Zeit, die Sache zu beenden.
Doch dann
ließ er den Kuss sich noch ein wenig hinziehen. Warum dem Ende zueilen, wenn
der Augenblick so vollkommen war? So warm und leicht hielt er sie in den Armen,
so weich war ihr Mund, ihr Duft umfing, erfüllte und berauschte ihn. Sie ließ
ihre Hände an seiner Brust hinabgleiten und schlang die Arme um ihn. So fest
hielt sie ihn, als fürchte sie zu fallen. Auch er hielt sie fester, zog sie
enger an sich.
Mit einem
leisen Seufzen öffneten sich ihre Lippen, was er hätte ignorieren sollen. Doch
wie könnte er? Wie hätte er ihre Einladung ausschlagen können? Er stahl sich
hinein, um sie wieder zu schmecken und zu necken und mit ihr zu spielen, wie
Liebende es taten, um sie tiefer zu ergründen, denn jedes Mal, wenn sie
einander begegneten, jedes Mal, wenn er sie sah, entdeckte er Neues an ihr.
Diesmal
schmeckte er Schuld und Unschuld zugleich, er fand Liebe und Lachen, mit einem
Hauch von Leid – die letzten Reste der Tränen, die sie geweint hatte. Die
Mischung war immer eine andere und stets voller Widersprüche. Diesmal gab sie
ihm hundert Rätsel in einem einzigen Kuss auf, der immer inniger und tiefer
wurde, denn er taumelte im trügerischen Gewässer und konnte doch nicht
aufhören. Langsam fuhr er mit den Händen über sie, entdeckte und erkannte jede
vollkommene Rundung: den anmutigen Schwung ihres Halses und die schlanken
Schultern, die weich sich wölbenden Brüste, deren Wärme durch den dünnen Stoff
ihres. Sommerkleides drang.
Auch ihm
wurde ganz warm ums Herz, eine Wärme, die sich indes zügig abwärts schlängelte.
Sie ließ alle Gedanken dahinschmelzen, die klaren und die unklaren, ebenso
alle Rätsel, die er lösen wollte und vielleicht nie lösen würde – zumindest
nicht in diesem einen verstohlenen Augenblick.
Was blieb,
war schlicht eines Mannes Verlangen nach einer Frau.
Seine
Stimme klang rau, als er sagte: »Wir müssen aufhören.«
»Ich
weiß«, sagte sie.
Gut.
Gleich. Eine Minute noch.
Sachte fuhr
er mit den Fingern über den dünnen Stoff ihres Kleides, über ihren Bauch und
ihre Hüften. Sachte strich er mit den Händen über ihren Hintern. »Wir müssen
aufhören«, sagte er.
»Ich
weiß«, sagte sie.
Gleich. In
einer Minute.
Er ließ
seine Hände aufwärts wandern, verharrte an ihrer Taille. Genug, sagte er sich,
doch erschloss sich ihm der Sinn des Wortes nicht mehr. Für ihn gab es kein
»genug«.
Er vergrub
sein Gesicht an ihrem Hals und sog den Duft ihrer Haut in sich auf. Als er
ihren Hals küsste, ließ sie den Kopf zurückfallen, bot sich ihm dar. Diese
einfache Geste der Hingabe ließ sein Herz schneller schlagen, so schwer und
unstet wie das Trommeln eines Platzregens, hinter dem die Welt
verschwand.Vernunft und Logik fanden kein Gehör mehr. Sie waren auch nicht mehr
wichtig.
Er hielt
sie in seinen Armen. Das war wichtig. Diese eine Minute war wichtig. Ihrer
beider Welt, in der sie ihn brauchte und er sie und in der alles gut war,
solange sie einander in den Armen hielten.
»Hör noch
nicht auf«, sagte sie. »Noch
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