Loretta Chase
Handgemenge zu.
»Nein!«,
schrie Jock. »Aufhören! Die reißen uns noch in Stücke. Sagen Sie denen, dass sie
aufhören sollen, Euer Lordschaft.«
»Erst wenn
du ihnen sagst, wo die Kiste steckt!«, brüllte einer der Männer.
Die Menge
tat sich auf, und zwei Männer schleiften Jock mit sich. Zwei weitere brachten
den bewusstlosen Roy herbei.
»Wo ist
sie?«, fragte Lisle leise.
Jock
blickte auf seinen Bruder hinab.
Jemand gab
Jock einen kräftigen Schubs. »Los, sag’s ihm schon, du Idiot.«
»In der
Kirche«, stieß Jock hervor.
Es war
schon spät, aber
sie hatten das ganze Dorf hinter sich. Die Stimmung war ausgelassen, es wurde
gescherzt und gelacht, Fackeln und Laternen erhellten die Nacht.
Sie hatten
Lisle geholfen, die Diebe zu fangen, und sie hatten ihm geholfen, die Antwort
zu bekommen, die er hatte haben wollen. Bei Tage wäre es wohl einfacher
gewesen, aber die Dorfbewohner brannten vor Tatendrang und hatten es sich zudem
redlich verdient, den Verlorenen Schatz zu bergen, wie Olivia es ausdrückte.
»Vielleicht
war deine Methode ja doch nicht so schlecht«, meinte sie, als sie bei der
Kirchenruine angelangt waren.
»Der Trick
bestand darin zusammenzuarbeiten«, sagte er. »Du hast sie weichgekocht – vor
allem Jock. Ich habe dann den Rest erledigt.«
»Nicht zu
vergessen dein Talent, Männer in die Schlacht zu führen«, sagte sie.
»Ganz
gleich, welche Kombination zum Erfolg geführt hat, es hat funktioniert«, sagte
er. »Hätte Jock das Geheimnis nicht ausgeplaudert, hätten wir ewig nach der
Kiste suchen können.«
»Selbst
wenn wir gewusst hätten, dass wir sie hier suchen müssen«, sagte sie und
schaute sich um, »wäre es nicht gerade leicht gewesen, etwas zu finden.«
Wohl wahr.
Lisle war geübt darin, auch kleinste Veränderungen eines Ortes zu bemerken, die
auf ein Versteck hindeuten konnten. Aber das hier war etwas anderes. Erstens
mal war es dunkel und würde bei Tage nicht viel heller sein. Alles schien von
dichtem dunklem Moos bewachsen, sodass man einen Stein kaum vom anderen
unterscheiden konnte.
Jock, an
den Händen gefesselt, wurde nach vorn geschubst, damit er den Mund aufmachte.
»Hier«, sagte er und trat gegen eine Steinplatte. »Da drunter.«
Die
Steinplatten, die er und Roy über das Loch geschichtet hatten, sahen aus, als
hätten sie schon immer da gelegen. Selbst Lisle, der sich Belzonis Methode
erfolgreich zunutze machte, wären die dezenten Schleifspuren entgangen, die
sich bei genauerer Betrachtung zeigten und das einzige Anzeichen dafür waren,
dass hier in letzter Zeit etwas bewegt worden war. Doch was wollte man in
dieser Umgebung erwarten? Er war Wüstensand gewohnt. Und gleißendes
Sonnenlicht.
Da so viele
mit anpackten, war das Loch schnell freigelegt. Mit Seilen bargen die Männer
dann die Kiste.
Lisle ließ
sie noch ein wenig mit dem Transport warten, damit alle sie sich mal anschauen
konnten.
Und sie war
wirklich ein prächtiger Anblick, mit ihren schweren Eisenbeschlägen, den
zahlreichen Schlössern und trickreichen Schlüssellöchern.
»Wenn alle
genug gesehen haben, könnt ihr sie auf den Karren laden«, wies er Tam MacEvoy
an. »Über Nacht bringen wir sie zurück zur Burg. Aber morgen Mittag will ich
euch alle beim Schmied sehen, damit ihr bei der Öffnung dabei seid.«
»Bitte
vielmals um Verzeihung, Euer Lordschaft«, meldete ein stämmiger Mann sich zu
Wort. »Ich bin John Larmour, der Schmied. Meinetwegen müssen Sie nicht bis
morgen warten. Wenn Sie wollen, mach ich das jetzt schnell. Wenn’s sein muss,
ist das Feuer schnell wieder angefacht. Aber wenn ich mir die Kiste so
anschaue, brauch ich wahrscheinlich eh kein Feuer, sondern bloß Geschick.«
Sein
Angebot wurde mit einhelligem Jubel bedacht.
Unglaublich,
dachte Lisle. Was seid ihr doch für bemerkenswerte Menschen . Seine
Rührung war ihm anzuhören, als er sagte: »Danke, Larmour. Ein ausgesprochen
großzügiges Angebot.« Er räusperte sich. »MacEvoy, sorgen Sie dafür, dass die
Kiste auf den Karren und in Larmours Schmiede geschafft wird. Herrick, Sie
schicken jemanden hoch zur Burg und lassen ausrichten, dass die Damen Cooper
und Withcote herzlich eingeladen sind, sich zu uns zu gesellen.«
»Samt der
Dienerschaft«, sagte Olivia.
Er sah sie
an. »Samt der Dienerschaft«, wiederholte er dann. »Und unsere Gefangenen kommen
auch mit. Es wäre schade, wenn die beiden das verpassen würden.«
Männer, Frauen und Kinder kamen aus den
Häusern und Katen herbei. Eine
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