Loretta Chase
keineswegs so, als würde ich gehängt werden«, sagte er. »Er wird
mich nicht mal schlagen. Er hat uns nie geschlagen. Seine Zunge vermag viel
wirksamer zu strafen. Oh, und sein Blick. Einer dieser Blicke wiegt hundert
Schläge auf. Aber ich bin kein kleiner Junge mehr. Ich werde angeschlagen,
nicht jedoch am Boden zerstört aus dieser Unterredung hervorgehen.«
»Ich werde
nicht zulassen, dass er dich unglücklich macht«, beharrte sie.
»Ich bin
keine Unschuld in Nöten«, sagte er. »Du musst für mich keine Drachen
töten, du verblendetes Geschöpf. Jetzt verstehe ich langsam, woher Olivia ihre
verrückten Ideen hat.«
»Ich
möchte, dass du jetzt gehst«, sagte sie. »Mach eine kleine Ausfahrt oder
einen Spaziergang. Überlass das hier mir.«
»Bedenke es
wohl«, warnte er sie. »Ich kann mir schon vorstellen,
was du vorhast. Du glaubst, du könntest ihn mit einem dieser DeLuceyTricks um
den Finger wickeln, bis er dir aus der Hand frisst. Du ahnst ja nicht, mit
welcher Sorte Mann du es bei meinem Vater zu tun hast.«
»Es kümmert
mich herzlich wenig, von welcher Sorte er ist«,
entgegnete sie. »Du gehst da auf jeden Fall nicht allein rein.«
»Bathsheba.«
Sie klopfte
einmal kräftig an die Tür des Arbeitszimmers, öffnete sie, rauschte hinein und
schloss sie hinter sich. Er hörte, wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte.
»Bathsheba«, sagte er. Er hob die Faust, um zu klopfen, dann hielt er
inne. Theatralische Szenen gehören auf die Bühne. Er drehte sich um und eilte
raschen Schrittes den Korridor hinab.
Als sie
eintrat, erhob sich
Lord Hargate, seine Miene höflich. Er bedachte sie mit demselben galant
ausdruckslosen Blick, der ihr schon beim Frühstück vergönnt gewesen war. Nicht
einmal eine Braue hatte er gehoben, als sie einfach so hereingestürmt war. Auch
dann nicht, als sie die Tür hinter sich abgeschlossen hatte. Nun war ihr klar,
woher Rathbourne seine unerschütterliche Undurchdringlichkeit hatte. Und seine
hochgewachsene Statur und sein Gebaren.
Doch Lord
Hargates Haar war nicht schwarz, sondern von einem hellen Braun, das von feinem
Silber durchzogen war, und seine Augen waren von einem dunklen Braun wie
Bernstein und ebenso ausdruckslos.
Der Earl
bedeutete ihr, sich zu setzen. »Ich stehe lieber, Mylord«, sagte sie. »Was
ich zu sagen habe, bedarf nicht vieler Worte. Ich wollte nur klarstellen, dass
das, was geschehen ist, nicht Lord Rathbourne anzulasten ist. Ich habe mich
Ihrem Sohn aufgedrängt und alles mir Mögliche getan, ihn mir gefügig zu
machen.« Seine Lordschaft schwieg. Seine Miene gab nichts preis. Eine
Maske wäre ausdrucksvoller gewesen.
»Rathbourne
hatte keine Chance«, fuhr sie fort. »Es gab für ihn kein Entkommen. Ich
hatte ihm jeden Fluchtweg abgeschnitten.«
»Was Sie
nicht sagen«, sagte Lord Hargate. »Sie haben demnach auch das Verschwinden
der Kinder zu verantworten?«
Die Frage
brachte sie aus dem Konzept. Sie hatte ihre Rede gründlich geübt. Genügend Zeit
hatte sie ja gehabt. Diese Wendung indes hatte sie nicht vorhergesehen. Sie war
zu aufgewühlt gewesen, um mehr als ein paar mögliche Einwände zu bedenken. Sie
hatte gedacht, sie müsste sich einfach nur als die ausgeben, für die alle Welt
sie ohnehin hielt.
Kurz erwog
sie, Ja zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. Das dürfte doch etwas zu
weit hergeholt und unglaubwürdig erscheinen – selbst für eine Ungeheuerliche
DeLucey.
»Nein, aber
ich habe mir ihr Verschwinden zunutze gemacht, um meine eigenen Pläne
voranzutreiben«, erwiderte sie.
»Und die
wären ...?«
»Mir einen
reichen Geliebten zu angeln.«
»Es dürfte
zahlreiche Männer geben, die für diese Position infrage kommen«, gab Seine
Lordschaft zu bedenken. »Warum gerade Benedict?«
»Weil er so
perfekt ist und damit eine reizvolle Herausforderung darstellte«, sagte
sie. »Die Ungeheuerlichen DeLuceys spielen gern mit hohem Einsatz.«
»So habe
ich sagen hören«, meinte Lord Hargate. »Nach allem, was ich bislang so
gesehen habe, scheinen Sie gewonnen zu haben.
Weshalb es mich umso mehr überrascht, dass Sie Ihren Erfolg zunichtemachen,
indem Sie mir von Ihrem Plan erzählen.«
»Man sollte
meinen, dass der Grund dafür offensichtlich ist«, sagte sie. »Ich bin
seiner bereits überdrüssig. So viel Perfektion ist furchtbar langweilig und
ermüdend. Ich will fortgehen, doch fürchte ich, dass er mir folgen und höchst
lästig sein wird.« Ein lautes Poltern ließ sie zusammenfahren.
Ruhig und
gefasst
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