Loretta Chase
brauchten
Disziplin, und es gehörte zu den elterlichen Pflichten, es daran nicht mangeln
zu lassen – und sich dafür hassen zu lassen.
Heute
beispielsweise hatte Benedict sehr danach verlangt, etwas nach seinem Vater zu
werfen. Was Lord Hargate in Mrs. Wingates Anwesenheit über Benedicts Verhalten
zu sagen gehabt hatte, war gar nichts im Vergleich zu dem, was er später noch
zu ihm gesagt hatte – draußen im Garten, wo niemand sie belauschen oder
versöhnlich einschreiten konnte.
Von
höchster Wertschätzung, als eines der angesehensten Mitglieder des Adels, bist
du tief hinabgesunken und hast dich zum Gespött gemacht.
Und das war
erst der Anfang und noch das Harmloseste an Lord Hargates Rede gewesen.
Das Fenster
tat sich auf. Ein dunkler Kopf, gekrönt mit einer weißen Nachthaube, erschien
darin.
»Bathsheba«,
flüsterte er.
Sie legte
den Finger an die Lippen. Dann zeigte sie hinter sich in das Zimmer. Sie wollte
Olivia nicht wecken. Nun, das wollte er auch nicht.
»Ich wollte
nur sagen ...«, fing er leise an.
Sie
schüttelte den Kopf, hob abermals den Finger und bedeutete ihm zu warten. Er
wartete.
Minuten
verstrichen.
So gebannt
starrte er hinauf zum Fenster, dass er sich fast zu Tode erschreckte, als er
plötzlich etwas Weißes neben sich huschen sah. Sie kaum auf ihn zugeeilt,
packte ihn beim Arm und zog ihn fort vom Haus, in einen der Ziergärten.
Er schloss
sie in seine Arme und küsste sie, innig und verzweifelt. Sie erwiderte seinen
Kuss und seine Gefühle wilder Verzweiflung. Dann aber wich sie zurück. »Deshalb
bin ich nicht gekommen«, sagte sie. »Ich wollte mich nur verabschieden.
Und diesmal wird es wirklich ein Abschied für immer sein. Ich wünschte, es wäre
nicht so, Rathbourne. Ich wünsche es mir so sehr. Aber das weißt du ja. Du
hast mich schon immer durchschaut.«
»Ja, ich
wusste es«, sagte er. »Ich wusste, dass ich dir mehr wert bin als zwanzig
Pfund.«
»Oh ja,
mein Liebster, viel mehr.« Sie berührte seine Wange, ließ ihre Hand dort
ruhen. »Ich war wach und habe versucht, dir einen Brief zu schreiben, weil ich
es nicht ertragen konnte fortzugehen, ohne dir die Wahrheit gesagt zu haben. Es
hat keinen Sinn, ich weiß, aber ich war mir so sicher, dass du meine Gefühle
erwiderst, und es war mir unerträglich, dich einfach so zu verlassen, ohne ein
Wort. Es wäre so kaltherzig, und ich wollte dich nicht verletzen, auch wenn es
nur eine kleine Wunde ist.«
»Eine
kleine Wunde«, meinte er. »Das ist, als würde man von einem kleinen
Kratzer sprechen, den einem die Guillotine beigebracht hat. Du weißt, dass ich
am Boden zerstört sein werde, mein Elend wird unaussprechlich und schlimmer
sein. Wir werden Märtyrer unserer Liebe sein – eine entsetzliche Vorstellung.
Es ist mir unerträglich, so nobel zu sein und solche Opfer zu bringen. Ich war
heute bereits nobel genug, habe ich doch meinen Vater angehört, ohne auch nur
einmal dem Drang nachzugeben, ihm den Hals umzudrehen.«
»O je, war
es so schlimm?«, fragte sie. Sie nahm ihre Hand fort, schmiegte nun aber
ihre Wange an seinen Rock, was sogar noch besser war. Nun konnte er sie wieder
in seinen Armen halten und ihr Haar streicheln.
»Ich dachte
mir schon, dass er sich gewiss zurückhalten würde, solange ich dabei
wäre«, sagte sie.
»Meine
Brüder haben den Klatschtanten hin und wieder Anlass gegeben, sich an ihnen die
Zungen zu wetzen, aber nie haben sie
irgendjemandem Anlass gegeben, sich über sie lächerlich zu machen oder gar
bemitleidet zu werden, hat er mich wissen lassen.«
»Ach
herrje.«
»Mein
Verhalten sei auf das unwürdige Niveau des Königs und seiner Brüder
gesunken«, fuhr Benedict fort. »Tiefer kann man nicht sinken, wie du
gewiss weißt. Der König und seine Brüder geben sich maßlosen Ausschweifungen
hin, verursachen obszöne Kosten und können sich nicht einmal eines
herausragenden Geistes rühmen. Bestenfalls werden sie geduldet.
Schlimmstenfalls verachtet und gehasst.« Die Mätresse eines Königsbruders
hatte sich schamlos bereichert, indem sie militärische Posten und Ränge
verschachert hatte. Ein anderer Bruder hatte zehn Kinder mit seiner Geliebten,
für deren Lebensunterhalt er nicht aufkommen konnte. Also musste sie weiter
ihre Bühnenkarriere verfolgen, wollte sie nicht mitsamt ihrer Brut verhungern.
Ein weiterer der königlichen Herzöge war der meistgehasste Mann der Armee, und
wieder ein anderer brillierte darin, gewalttätig und reaktionär zu sein. Aber
das waren
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