Loretta Chase
Nutzen wohl
ein halbwüchsiger Adelsspross, ein künftiger Lord, aus derlei Unterweisungen
ziehen würde.
»Anders
ausgedrückt: Sie lehren Grundlagen«, stellte Rathbourne fest.
«Ja.«
»Genau
daran mangelt es Peregrine«, sagte er und drehte sich endlich um. Das
hereinfallende Licht umriss scharf die Beinah-Locken und markanten
Gesichtszüge. »Er braucht eine stabile Basis. Obwohl er zahlreiche
Zeichenlehrer gehabt hat, scheinen deren Methoden bei ihm nicht gefruchtet zu
haben. Vielleicht haben Sie mit Ihrem Ansatz ja mehr Erfolg.«
»Er
brauchte Privatstunden«, wandte sie ein und unterdrückte erbarmungslos den
winzigen Keim der Hoffnung, der in ihr zu sprießen begann. Er hatte nur
»vielleicht« gesagt, was oft die diplomatische Art war, Nein zu sagen. Das
Zimmer musste ihm schäbig erscheinen, ihre Vorgehensweise dilettantisch, ihre
Schülerinnen gesellschaftliche Niemande. »Ich kann ihn nicht gemeinsam mit den
Mädchen unterrichten. Seine Anwesenheit würde den Unterricht stören. Er würde
manche der Mädchen schüchtern, andere dreist, und alle zusammen albern und
töricht werden lassen.«
»Peregrine
kann in der Tat ein wenig enervierend sein«, pflichtete Rathbourne ihr
bei. »Ganz gleich, mit wem er es zu tun hat: Mädchen, Jungen, Erwachsene,
völlig egal. Lehrer, Verwandte, Pfarrer, Bedienstete, Soldaten, Politiker. Mein
Neffe ist ein zweifelnder Thomas. Er will alles prüfen und bewiesen haben. Er
ist wissbegierig, streitlustig und stur. Binnen einer Stunde wird er Sie
hundertmal ,Warum?' fragen. Wenn Sie Ihr übliches Honorar angesichts dieser
Herausforderung nicht mindestens verdreifachen, wären Sie töricht.«
Das konnte
er nicht ernst meinen. Das dreifache Honorar für nur einen Jungen? Lord Lisle
konnte gewiss nicht schwieriger zu handhaben sein als Olivia – ganz gleich, wie
sehr er versuchte, schwierig zu sein, ganz gleich, wie sehr seine Eltern ihn
verwöhnt hatten. Olivia war nicht verwöhnt worden – sie schlug den
Ungeheuerlichen DeLuceys nach.
»Wenn das
so ist, würde ich es vervierfachen«, sagte Bathsheba.
»Da hatte
der Junge also recht, als er meinte, Sie hätten einen vernünftigen Eindruck
gemacht«, sagte Rathbourne und verließ seinen Platz am Fenster. »Heißt
das, Sie wären trotz meiner Warnungen bereit, ihn zu Unterrichen?«
Sie verzog
keine Miene. Ja, sie blinzelte nicht einmal. Ihr Vater hatte sie nicht umsonst
Kartenspielen gelehrt. »Soll das heißen, dass Sie sich entschieden haben?«,
entgegnete sie.
Er sah sich
im Zimmer um. »Die gute Gesellschaft wird wenig belustigt sein«, stellte
er fest. »Deren Mitgefühl gehört der Familie Ihres verstorbenen Gatten.«
»Oh«,
sagte sie nur. Ganz plötzlich fühlte sie sich unendlich müde und erschöpft. Sie
fühlte sich wie Sisyphus, der sich vergebens mühte, einen schweren Stein den
Berg hinaufzurollen – nur, um ihn immer wieder hinabrollen zu sehen. Der Stein
war ihre Vergangenheit, und er rollte gerade über den zarten Keim der Hoffnung
und walzte ihn platt. Genauso hatte sie sich neulich vor Mr. Pophams Laden
gefühlt, als ihr bewusst
wurde, dass ihr unsäglicher Name ihr wieder einmal eine Tür vor der Nase
zugeschlagen hatte.
»Alte
Familienfehden und Befangenheiten sind wahrlich eine Plage«, fuhr er fort.
»Wenn Peregrines Eltern erfahren, dass Sie ihren Sohn unterrichten, werden sie
Zustände bekommen. Doch seien Sie unbesorgt: Lord und Lady Atherton bekommen
andauernd Zustände. Derlei Extravaganz entspricht ihrem Naturell. Sie können
nicht anders. Weshalb sie auch nicht die
leiseste Ahnung haben, wie sie mit ihrem Sohn umgehen sollen. Ihre Lösung des
Problems besteht darin, ihn mir zu überlassen und sich auf ihre Güter nach
Schottland zurückzuziehen. Doch wenn sie ihn mir überlassen, müssen sie eben
mit meinen Entscheidungen leben.« Sein Blick ruhte auf ihr, und er deutete
ein feines Lächeln an. »Nun müsste ich mich nur noch entscheiden. Wissen Sie
eigentlich, dass Sie gerade genau wie Ihre Tochter schauen, als sie auf
Peregrine wütend wurde? Vielleicht wünschen Sie ja, mich mit einem Skizzenbuch
zu schlagen?«
»Würde es
Ihnen helfen, sich zu entscheiden?«, fragte sie.
Sein
Lächeln wurde ausgeprägter, und sie wünschte, er hätte es dezent
zurückgehalten, denn ihn lächeln zu sehen, ließ ihr törichtes Herz viel zu
schnell schlagen und ihren Verstand viel zu langsam arbeiten.
»Ich habe
mich entschieden. Ich habe entschieden, dass der Junge Sie braucht«, sagte
er. »Und
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