Loretta Chase
an
ihrem Rücken bewusst, der Vertrautheit des Momentes, der befremdlichen
Häuslichkeit dieses Augenblicks.
Glücklicherweise
bedurfte Rathbourne beim systematischen Überlegen ebenso wenig der Hilfe wie
bei der gekonnten Handhabung von Damenwäsche.
»Was mir
dazu einfällt«, begann er. »Erstens: Wir machen weiter wie bisher.
Zweitens: Wir kehren an den letzten Ort zurück, an dem man die beiden gesehen
hat. Drittens: Wir ziehen die Behörden hinzu und schicken einen offiziellen
Suchtrupp aus.«
»Hilfe,
nein!«
»Habe ich
das Korsett zu fest geschnürt?«
»Nein, es
ist nur ...« Sie seufzte. »Egal. Es ist töricht, sich jetzt noch darum zu
sorgen, wie groß der Skandal wohl werden wird.«
»Es ist
überhaupt nicht töricht«, entgegnete er. »Skandal ist nicht gleich
Skandal. Ein offizieller Suchtrupp würde uns den größtmöglichen Skandal
sichern. Dann wäre es eine
Tatsache – eine schriftlich niedergelegte Tatsache zudem –, nicht nur ein
Gerücht. Leugnen käme nicht mehr infrage.« Während er sprach,
mühte er sich mit dem Unterrock ab.
»Eine
weitere Möglichkeit bliebe noch«, fuhr er fort und warf ihr dabei das
Kleid über den Kopf. »Wir könnten bis Bristol weiterfahren – bis ans Ende der
Fährte sozusagen –, und die beiden an den Toren von Throgmorton Park erwarten.«
Es war, als
müsse sie das Geringste von vier Übeln wählen.
Um Zeit zu
gewinnen, zupfte sie zunächst das Kleid zurecht. »Es passt bemerkenswert gut,
wenn man bedenkt, dass ich bei der Anprobe nicht dabei war.«
»Ich habe
Thomas geraten, ein Hausmädchen mit ähnlicher Figur zu schicken«, klärte
Ratbourne sie auf.
»Ich weiß
nicht, ob mir die Vorstellung gefällt, dass Thomas so sorgsam Notiz von meiner
Figur nimmt«, meinte sie.
»Ach,
Unsinn«, sagte er. »Thomas ist ein Dienstbote, wohl wahr. Aber er ist auch
ein Mann. Die einzigen Männer, die nicht sorgsam Notiz von deiner Figur nehmen,
müssen blind sein. Doch sei unbesorgt: Solange sie ihre Hände schön bei sich
behalten, wird ihnen niemand nach dem Leben trachten.«
Überrascht
horchte sie auf und wollte sich umdrehen, um seine Miene zu sehen. Doch er zog
nur einmal fest an ihrem Kleid und meinte: »Halt still. Ich bin noch nicht
fertig.«
Gut, dann
nicht. Wahrscheinlich würde sie ohnehin eher Hieroglyphen entziffern als ihm
einen einzigen Gedanken vom Gesicht ablesen können.
Gehorsam
stand sie still.
Nachdem er
auch die letzten Bänder geschnürt und die letzten Schnüre geschlossen hatte,
trat er zurück und drehte sie um, betrachtete sie von oben bis unten und
runzelte die Stirn.
Mit leiser
Besorgnis ging sie hinüber zum Spiegel. »Es passt nicht perfekt«, stellte
sie fest und strich sich den Rock glatt.
»Aber in
Anbetracht der Umstände passt es ziemlich gut.«
»Ach ja,
die Umstände«, seufzte er. »Diese leidigen Umstände. Die haben wir
wahrlich lang genug vernachlässigt.« Er zog sich seine Weste an und
knöpfte sie zu. »Welche Vorgehensweise bevorzugen Sie denn nun, Madam?«
Lord
Rathbourne war
keineswegs der Einzige, der sich den Tatsachen gestellt und beschlossen hatte,
das meiste aus der verbleibenden Zeit zu machen.
Um zehn Uhr
an jenem Morgen war Peregrine endgültig klar, dass er Edinburgh nicht mehr
beizeiten erreichen würde, um die Katastrophe abzuwenden. Vermutlich war sein
Onkel unterwegs auf Abwege geraten.
Wenngleich
die Vorstellung, dass Lord Rathbourne einen Fehler machen könnte, geradezu
ungeheuerlich war, drängte sich Peregrine diese Vermutung doch sehr auf. Hätte
Seine Lordschaft in Maidenhead gehalten und sich in den Gasthöfen nach ihnen
erkundigt – dies wäre die Vorgehensweise eines logisch denkenden Verstandes
gewesen –, würde er sie längst gefunden haben.
Da die
Katastrophe nun unausweichlich schien, überdachte Peregrine seine missliche
Lage, derweil er im Speiseraum des Gasthofs auf sein Frühstück wartete. Er
wollte nicht nach Edinburgh.
Er hasste
die Schule und alle Lehrer.
Weil seine
Eltern ihm künftige Besuche bei Onkel Benedict fortan verwehren dürften, würde
Peregrines Leben sich in den nächsten paar Jahren höchst unerfreulich
gestalten.
Folglich
sollte er das meiste aus der Zeit machen, die ihm noch blieb. Er musste jeden
Augenblick nutzen.
Sowie er zu
diesem Schluss gelangt war, traf sein Frühstück ein.
Nun schon
weitaus zuversichtlicher, langte er herzhaft zu. Das
Zimmer und die Mahlzeiten hatten tiefe Löcher in seine begrenzte Barschaft
gerissen, aber darüber
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