Loretta Chase
sich vor einem Tisch eingefunden hatte,
auf dem ein schon stark ergrauter fahrender Händler Bordüren, Spitze, Knöpfe
und andere für die Weiblichkeit unerlässliche Utensilien verkaufte.
»Wir müssen
uns irgendetwas für dich einfallen lassen«, ließ Olivia Peregrine leise wissen. »Du
siehst einfach zu adelig aus.« Sie kniff die Augen zusammen und maß ihn
mit kritischem Blick. »Es ist das Profil. Wir werden dir eine große Kappe
verpassen – oder besser noch einen Schal. Den könnten wir dir ganz ums Gesicht
wickeln und so tun, als hättest du Zahnschmerzen.«
Anscheinend
ohne zu drängeln arbeitete Olivia sich in der Schlange ganz nach vorn durch und
zog Peregrine mit sich.
Eine dicke
Frau feilschte gerade mit dem Händler um ein Stück Spitze.
»Ach
herrje«, sagte Olivia. »Ich traue meinen Augen kaum! Ist das nicht die berühmte
Santiamondo-Spitze, die in nur einem einzigen Dorf in Spanien gefertigt und
deren Muster seit Generationen in einer Familie vererbt wird? Wo haben Sie die
denn her?«, fragte sie den Händler. »In London bekommt man die beim besten
Willen nicht – und wenn, dann nur für ein kleines Vermögen –, weil alle Damen
so verrückt danach sind. Die Duchess of Trenton hat Santiamondo-Spitze zum Ball
in Carlton House getragen, müssen Sie wissen. Das habe ich in der Zeitung
gelesen. Sie hat die Santiamondo-Spitze getragen und ihre berühmten
Diamanten.«
Die Frau
schnappte sich die Spitze, drückte dem Händler ein paar Münzen in die Hand und
eilte davon.
Der Händler
schaute Olivia an. Olivia schaute zurück.
Als eine
Kundin sich nach einem der bunten Bänder erkundigte, plapperte Olivia
irgendwelchen Unfug über das bunte Band. Jeder Knopf und jeder Nippes bekam
eine Geschichte verpasst. Am späten Nachmittag war fast alles verkauft.
Während der
Händler seinen Stand zusammenpackte und alles in seinem Karren verstaute,
halfen Peregrine und Olivia ihm. Anschließend lud er sie ein, mit ihm zu Abend
zu essen.
Sie aßen in
einem Wirtshaus, das von zahlreichen anderen fahrenden Händlern frequentiert
wurde. Der Schankraum war düster und verraucht, das Essen einfach und verkocht,
aber Peregrine war viel zu fasziniert von der ungewohnten Gesellschaft, als
dass er es bemerkt hätte.
Nie zuvor
war er inmitten solcher Leute gewesen.
Manche von
ihnen konnte er kaum verstehen. Es war, als würde er ein fremdes Land besuchen.
Der Händler
hieß Gaffy Tipton. »Jetzt pass mal gut auf«, sagte er und zeigte mit
seiner Pfeife auf Olivia. »Ich weiß, dass de kein Junge
bist. Was ich nicht weiß, is', warum de mir gerade so viel geholfen hast.«
Sie
verschränkte die Arme auf dem Tisch, beugte sich vor und sagte mir gesenkter
Stimme: »Mein Bruder und ich, wir wollen nach Bristol, um unser Glück zu
machen. Aber das ist ein ganz schönes Stück von hier, und wir haben nur drei
Shilling. Wir haben auch nichts gelernt, nur dass ich manchmal bei einem
Pfandleiher geholfen habe und deshalb alles über Kleiderputz und so was weiß.
Ich kenne auch die Namen von all den feinen Schnöseln und habe alles über die
Feiern gelesen, auf die sie gehen, und über die Opern und Theaterstücke, die
sie sich anschauen. Heute wollte ich
Ihnen zeigen, was ich kann. Ich habe gehört, dass Sie immer samstags von
Bristol kommen. Wenn wir mit Ihnen zurückfahren dürfen, würden wir uns auch
nützlich machen.«
Gaffy
musterte Peregrine.
»Er ist
sehr schüchtern«, sagte Olivia.
»Jetzt grad
auch?«, fragte Gaffy skeptisch.
»Ich bin
zwar eine gute Lügnerin, aber klauen tun wir beide nicht«, versicherte sie
ihm und sah ihn mit ihren großen blauen Augen an. »Wenn wir mit Ihnen fahren
dürften, könnte ich wieder ein Mädchen sein. Wenn wir mit Ihnen fahren, wird
niemand uns belästigen.«
Peregrine
blinzelte. Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, dass sie um ihre Sicherheit
besorgt sein könnte. Auch wäre ihm nie der Gedanke gekommen, dass sie ebenso
viel erreichte, wenn sie fast ausschließlich die Wahrheit sagte.
Nachdem er
Peregrine eine entsetzlich lange Weile angestarrt hatte, meinte der Händler
schließlich: »Na schön. Ich nehm' euch mit.«
Benedict kletterte neben Bathsheba in den
Wagen. »Nach Bristol?«, fragte er. »Wie Sie bereits meinten, können wir
nicht wissen, ob sie vor uns, hinter uns oder direkt vor unserer Nase
sind«, sagte sie. »Wir sind nicht einmal gewiss, ob wir auf derselben
Straße reisen. Ganz sicher wissen wir hingegen, dass sie nach
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