Loretta Chase
sie.« Sie lachte kurz. »Ich
weiß, dass man sich nur schwer vorstellen kann, wie ausgerechnet Jack Wingate
ein Kind Moral und Manieren lehrt. Aber er war ein Gentleman und hielt sich an
den Ehrenkodex eines solchen. Und er verstand es, so zu schimpfen, dass
...«, sie ballte die Faust und drückte sie an ihre Brust, »... dass Olivia
es sich zu Herzen nahm. Aber das ist nun über drei Jahre her. Und mittlerweile
erinnert sie sich nur noch an die aufregenden Sachen, die ihr Papa ihr erzählt
hat, wie beispielsweise die Geschichte von dem Schatz. Und ich verstehe es
einfach nicht, so mit ihr zu sprechen, wie er es getan hat.«
Ich schon,
dachte Benedict, und sein Herz zog sich zusammen, als ob sie ihre Faust darum
geschlossen hätte.
»So hast du
schon einen Grund weniger, dich um sie zu sorgen«, sagte er stattdessen.
»Was auch immer sie sonst sein mag, Olivia scheint kein leichtgläubiges Mädchen
zu sein. Skrupellose Zeitgenossen dürften kein leichtes Spiel mit ihr haben.
Und was Peregrine angeht, so wissen wir beide, dass er alles und jeden
hinterfragt. Was nicht heißen muss, dass die beiden nicht dennoch in Gefahr
geraten könnten. Aber ihre Chancen stehen doch eigentlich ganz gut.«
Darauf
folgte ein kurzes Schweigen. Schließlich stieß sie ein ungeduldiges Schnauben
aus und meinte: »Rathbourne, es ist schändlich von dir, etwas so Kluges und
Besonnenes zu sagen, wo ich doch eben vorhatte, dich begriffsstutzig zu
schimpfen und einen
ordentlichen Streit zu beginnen.«
»So mache
ich das immer«, sagte er. »So mache ich das, seit ich denken kann. Mein
halbes Leben bringe ich damit zu, Streitigkeiten zu schlichten, Menschen zu
beruhigen und zur Vernunft zu bringen. So habe ich das gelernt, so bin ich
erzogen worden. So bekommt mein Vater seine Sachen geregelt, so regele ich
meine Angelegenheiten.« Er hielt inne. »Nicht, dass ich etwas dagegen
hätte, mich mit dir zu streiten. Ich finde es höchst anregend, mich mit dir zu
streiten. Fast tut es mir leid, nicht ausreichend begriffsstutzig gewesen zu
sein. Aber auf derlei Enttäuschungen musst du gefasst sein, wenn du es mit
einem Mann zu tun hast, der perfekt ist.«
»Vielleicht
sollte ich dir ab und an Sachen an den Kopf werfen – nur so aus Prinzip«,
überlegte sie laut. »Nicht, weil du etwas Bestimmtes gesagt oder getan hättest,
sondern einfach weil du es brauchst.«
Er musste
lachen und zog sie in seine Arme, und sie küsste ihn, kokett, doch bald schon
wand sie sich aus seinen Armen und schlüpfte aus dem Bett.
Benedict
schluckte seine Enttäuschung hinunter, wie er das sein Leben lang gelernt
hatte, und wandte seine Gedanken jenem Problem zu, bei dem seine Klugheit und
Besonnenheit ihn verließen.
Zu ihrem
Glück verließ auch
Rathbourne kurz darauf das Bett. Für Bathshebas Geschmack sah er nämlich viel
zu einladend aus, wie er dalag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, der
muskulöse Oberkörper vergoldet vom hellen Licht, das zum Fenster hereinfiel und
sein zerzaustes Haar schimmern ließ. Da machte es gar nichts, dass er von den
Hüften abwärts züchtig mit Bettlinnen bedeckt war. Die zerwühlten Laken ließen
ihn erst recht unschicklich wirken ... und viel zu verführerisch.
Wäre er
nicht aufgestanden, wäre Bathsheba in einem ziemlichen
Dilemma gewesen, denn sie zweifelte daran, ob sie genügend Moralgefühl und
Willenskraft besaß, der Verführung zu widerstehen, abermals zu ihm ins Bett zu
klettern ... auf ihn ...
Sie zwang
sich, den Blick abzuwenden, und wusch sich. Noch einmal.
Dann
begutachtete sie – noch immer missmutig – ihre nach wie vor schmutzigen
Kleider.
»Nein,
nein«, hörte sie ihn sagen, als sie mit leisem Seufzen nach dem Kamisol
griff. Sie sah ihn an.
Er hatte
sich rasch Hemd und Hose angezogen. Für einen Aristokraten zeigte er ein
erstaunliches Geschick darin, für sich selbst zu sorgen.
Mit zwei
Schritten war er beim Klingelzug und läutete. »Mittlerweile dürften die
Dienstboten wohl etwas zum Anziehen aufgetrieben haben. Thomas ist sehr
gewissenhaft. Als ich gestern aufbrach, nahm ich leichtfertigerweise an, keine
Kleider zum Wechseln zu brauchen. Thomas bedachte mich nur mit einem seiner
nachsichtigen Blicke – so wie man ein Kind ansehen würde, denn in den Augen
eines verdienten Dienstboten sind wir alle wie kleine Kinder. Wortlos hat er
mir frisches Linnen
eingepackt und ich weiß nicht, was noch alles.«
»Ich
wünschte, er hätte auch für mich gepackt«, meinte sie.
»Er wird
dafür
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