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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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verläßliche, erfahrene Männer, zur Fronerei geschickt, den Delinquenten zu ihm in seine Amtsstube zu bringen. Es war nicht weit, keine zehn Minuten, und die frische Abendluft würde Blanks Kleider hoffentlich genug auslüften, daß sie nichts mehr von dem Gestank der Fronerei ins Rathaus brachten.
    Er hatte mit Bedacht diese späte Stunde gewählt, am hellen Tag hätten sich die Wachen mit ihrem Gefangenen durch die Menge drängeln müssen. Da wäre gewiß mancher Stein oder faule Apfel geflogen, und das tat selbst bei einem wie Lukas Blank nicht not. Der Pranger kam noch früh genug, und van Witten hatte keine Lust, einen nicht nur stinkenden, sondern auch noch blutigen Mann zu verhören. Wieder sah er auf die Uhr. Vielleicht war ihr Werk stehengeblieben, er vergaß manchmal, es aufzuziehen. Bei seiner alten Uhr, die täglich aufgezogen werden mußte, war ihm das nie passiert. Aber diese brauchte nur einmal wöchentlich neue Kraft. Da schlug es auch vom Dom. Er zählte die Schläge und stellte fest, daß seine Uhr richtig ging. Es war schon acht. Die Wachen mußten jeden Moment mit Lukas Blank ankommen. Van Witten erhob sich aus seinem bequemen samtbezogenen Lehnstuhl, und gerade als er begann, mit langen Schritten auf und ab zu gehen, hörte er schwere Schritte auf der Treppe.
     
    «Ah», sagte Madame van Witten, die immer noch neben Augusta saß und sich gerade ausführlich berichten ließ, wie diese Monsieur Lessing, der ohne Zweifel ein äußerst charmanter Herr sei, in Pyrmont kennengelernt hatte. «Da kommt unsere Gastgeberin und bringt uns noch einen späten Gast.»
    «So kann man es nennen», sagte Anne lächelnd, «einen ganz besonderen Gast sogar. Darf ich Euch Mademoiselle Rosina vorstellen, Madame van Witten? Eine Freundin, aber heute abend ist sie vor allem unsere Sängerin, und gewiß habt Ihr schon von ihr gehört.»
    Madame van Witten hielt nicht viel von der Vermischung der Stände, wie sie neuerdings in Mode kam, und sie war heilfroh, daß ihre beiden Söhne klug genug gewesen waren, Mädchen zu heiraten, die ihren Eltern recht waren. Aber bei dieser jungen Frau siegte ihre Neugier.
    «In der Tat», sagte sie und bemühte sich, die seltsame Freundin des Hauses nicht zu auffällig zu mustern, und fragte sich, welches nun das richtige Verhalten sei. Schließlich klopfte sie einfach auf den Sessel, der neben ihr noch frei war, und wer in den nächsten Minuten durch den Salon schlenderte, fragte sich, wer denn die junge Dame in dem schilfgrünen Seidenkleid mit den ausnehmend hübschen Lyoner Spitzen sei, mit der die Senatorin so angeregt plaudere.
    Natürlich habe sie von ihr gehört, versicherte Madame van Witten, und sie bewundere ihren Mut, doch, das tue sie wirklich, und gegen das Theater habe sie persönlich gar nichts einzuwenden. Sie besuche es zwar selbst nicht gerne, aber nicht wegen der Moral der Aufführungen, über die so viel gestritten werde. Sie möge einfach nicht stundenlang in einer engen Loge sitzen. Auch sei die Luft dort, das habe ihr Gatte ihr versichert, äußerst unbekömmlich,aber dennoch, sie finde es unerhört, was da für Pamphlete in der Stadt kursierten. Und wenn man sich vorstelle, daß neuerdings Dorothea Bauer, ausgerechnet Dorothea, die noch im letzten Jahr die frivolen Vaudeville-Aufführungen auf der kleinen Bühne im Dragonerstall-Saal besucht habe, nun plötzlich eine Gruppe um sich schare, die gegen das Theater zu kämpfen gedenke, das sei, man möge es ihr verzeihen, ein Witz. Wenn Dorothea nicht von selbst zur Vernunft käme, wolle sie ihr, immerhin eine Cousine dritten Grades, selbst den wirren Kopf zurechtrücken.
    Augusta drehte nervös ihr Weinglas zwischen den Fingern und begann zu überlegen, welche Ausflüchte ihr einfallen könnten. Aber Madame van Witten, für gewöhnlich an der Quelle aller Neuigkeiten in der Stadt, hatte offenbar noch nicht gehört, daß Augusta Kjellerup, die sich bisher nie calvinistisch gebärdet hatte, nun auch zu den Theaterfeinden übergelaufen war.
    «Aber manchen», fuhr die Senatorin mit gedämpfter Stimme und Rosina zugeneigt fort, «muß man eine gewisse Sprödigkeit, einen Mangel an Humor und Heiterkeit nachsehen. Mrs.   Bellham zum Beispiel – das ist die Dame, die gerade mit der kleinen Dölling vorbeiging, diesem armen Ding mit den karottenroten Haaren und einer spitzen Nase voller Sommersprossen, Ihr habt sie doch gesehen? – ist gewiß so, weil sie im Leben viel Leid, aber auch viel Gnade erfahren hat. Das

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