Lost Girl. Im Schatten der Anderen
wirst.«
Ungläubig starre ich ihn an. Ein hoffnungsvolles Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus. Ich versuche seine Miene zu lesen, aber es ist unmöglich.
»Was werden die anderen Meister sagen, wenn Sie mich nicht zurückholen?«
»Sie wären nicht überrascht, könnte ich mir denken. Sie haben es schon lange aufgegeben, mein Handeln vorauszusagen oder meine Beweggründe zu verstehen.«
Ich kann den Blick nicht von ihm abwenden. Er lässt mich gehen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Schließlich ist er ein Meister. Matthew . Nein, das wäre zu einfach.
»Ich traue Ihnen nicht«, sage ich. »Sie tun das doch nicht aus Nächstenliebe.«
»Für Nächstenliebe war ich nie bekannt«, gibt Matthew zu. »Und zu Heldentaten bin ich nur bereit, wenn es mir passt.«
Ich gehe nicht darauf ein. »Was wollen Sie von mir? Dass ich dankbar bin? Vor Ihnen auf den Knien rutsche? Sie tun das nur zu Ihrem Vergnügen, weil Sie sehen wollen, wie ich zapple. Ich bin eine Marionette und Sie wollen die Fäden ziehen. Sie verschonen mich nur, solange Sie sich amüsieren. Sobald Sie sich langweilen, schicken Sie mir die Späher auf den Hals.« Ich schüttle den Kopf. »Ich werde fliehen und es ist mir egal, ob Sie mir folgen oder nicht. Ich will leben – aber ohne dass Sie in meinem Leben herumpfuschen. Ich lasse nicht mit mir spielen und ich werde mich auch nicht bei Ihnen bedanken.«
Matthew starrt mich lange unverwandt an. Ich erkenne in seinem Blick Belustigung, aber auch noch etwas anders, das ich nicht benennen kann.
»Das solltest du aber, du freches Ding«, sagt er schließlich und zeigt mit dem Finger auf meine Nasenspitze. »Überleg es dir. Oder wie lange glaubst du, kannst du den Spähern ohne meine Hilfe entkommen?«
»Ich bin nicht allein.«
Ich breche ab, beiße mir wütend auf die Zunge. Aber Matthew scheint schon Bescheid zu wissen. »Damit meinst du vermutlich Jonathans Sohn?« Er zuckt verächtlich mit den Schultern. »Der zählt nicht. Du wirst ihn vermutlich nie wiedersehen.«
Ich erstarre und meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
»Was heißt das?«
»Ein kleines Vögelchen hat gepfiffen«, sagt Matthew und untersucht seine Fingernägel. »Ein weibliches Vögelchen. Ich habe doch gesagt, dass die Späher beschäftigt waren. Das kleine Vögelchen sagte zu Adrian, du wolltest eine Bank in der Stadt aufsuchen und ein gewisses Schließfach leeren. Das war vor, Moment, einer Stunde. Natürlich sind die Späher sofort aufgebrochen, um dort auf dich zu warten.«
Mir wird übel. »Ophelia hat Adrian informiert?« Ich bin fassungslos. Ophelia bedeutet mir so viel. Zwar wusste ich, dass sie treu zur Meisterei steht, aber meine Geheimnisse hat sie trotzdem nie ausgeplaudert. Ich hätte nicht gedacht, dass sie es diesmal tun würde. Ich habe ihr vertraut.
»Natürlich hat sie das …«
»Aber Sean!« Der Name bleibt mir im Hals stecken. Ich habe vorgeschlagen, dass er Ophelia anrufen soll. Es ist meine Schuld. »Mein Gott, sie werden Sean finden. Aber … sie suchen doch mich. Bestimmt lassen sie ihn in Ruhe, oder? Sie tun ihm doch nichts oder nehmen ihn mit?«
»Was für eine naive Vorstellung.« Matthew blickt zur Decke. »Und natürlich völlig falsch. Auch er hat unsere Gesetze gebrochen. Ich an deiner Stelle würde ihn vergessen und auf dem schnellsten Weg von hier verschwinden. Lauf und nimm das Leben mit, das dir so wichtig ist.«
»Das kann ich nicht.«
»Du willst zu ihm? Aber du weißt doch nicht einmal, wo er ist.«
»Ich kann Erik anrufen und ihn nach der Bank fragen. Dank Ophelia brauche ich jetzt ja nicht mehr vorsichtig zu sein, dazu ist es zu spät.«
»Du spinnst.«
»Ich muss Sean finden, bevor Ihre Späher es tun. Vielleicht schaffe ich es noch. Lassen Sie mich gehen!«
»Nein.« Matthew stellt sich mir in den Weg. Ich will mich an ihm vorbeidrängen, aber er rührt sich nicht. Am liebsten möchte ich ihn schlagen, aber er mustert mich nur kalt und unbewegt. »Du wirst es nicht rechtzeitig schaffen. Die Späher haben ihn schon gefunden. Wenn du zu dieser Bank gehst, werden sie dich auch schnappen und das passt mir überhaupt nicht. Sei bitte wenigstens einmal vernünftig. Er muss nicht sterben, du dagegen müsstest es. Das ist langweilig, vorhersehbar, du erinnerst dich?«
»Lassen Sie mich los!«
»Und dein Freund würde das auch wollen, ja?«, fragt Matthew gelangweilt, ohne sich einen Millimeter zu bewegen. »Dass du ihm folgst und dich in den aufgesperrten
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