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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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kantiges, attraktives Gesicht. Ich schätze ihn auf Mitte fünfzig. Seine dunkelbraunen, kurz geschnittenen Haare umranden sein Gesicht wie eine Löwenmähne. Er hat auch die goldenen Augen und die träge Anmut eines Löwen. Sein Anblick beunruhigt mich zutiefst und ich habe das Gefühl, als krabbelten Spinnen über meine Haut. Noch schlimmer ist, dass er mir bekannt vorkommt, als hätte ich sein Gesicht schon einmal gesehen.
    »Ist das …?«, flüstere ich.
    »Adrian Borden«, sagt Sean. Seine Stimme klingt, als spürte auch er dieses Spinnenkrabbeln. Er zögert. »Ein Meister.«
    »Ich weiß.«
    Meine Lunge fühlt sich an, wie mit Eis gefüllt. Das Atmen fällt mir schwer. Ich kenne die Namen der Meister. Adrian Borden, Matthew Mercer und Elsa Connelly. Manchmal glaube ich, dass ich auch ihre Gesichter kenne. Früher habe ich Erik nach ihnen gefragt, aber ich habe damit aufgehört, als ich acht oder neun war. Ich glaube, ich habe mir eingeredet, sie könnten mir nichts anhaben, wenn ich sie nicht kenne. Als ich damals in der Meisterei zusammengesetzt und als Baby zum Leben erweckt wurde, muss ich sie alle drei gesehen haben. Zum ersten Mal sehe ich jetzt einen von ihnen wieder. Mein ganzes Leben war überschattet von einem diffusen, dunklen Etwas. All meine Angst, all mein Hass konzentrieren sich jetzt auf das Gesicht auf dem Bildschirm. Es ist ein komisches Gefühl zu überlegen, ob derjenige, den ich dort vor mir sehe, mich vielleicht eigenhändig erschaffen hat. Und noch komischer ist es zu wissen, dass dieselbe Person mich auch wieder auslöschen kann.
    »Nicht Adrian Borden hat dich geschaffen«, sagt Sean, als könnte er meine Gedanken lesen. »Ich habe Erik einmal gefragt. Es war Matthew.«
    Zu wissen, dass es nicht der Mann im Fernsehen war, beruhigt mich. Aber wenn dieser Matthew nun noch schlimmer ist?
    »Erik kennt sie alle gut, stimmt’s?«, sage ich. Ich weiß noch, wie ich ihn als Kind mit Fragen gelöchert habe.
    »Früher kannte er sie zumindest.«
    Sean setzt sich neben mich auf das Bett. Wir betrachten die goldenen Augen und das scharf geschnittene Marmorgesicht des Meisters. »Ich bin Adrian einmal begegnet«, sagt Sean. »Als Dad noch dein Vormund war, sind wir oft zusammen nach London gefahren. Ich war noch ziemlich klein, als er mich einmal in die Meisterei mitnahm. Es ist wirklich ein seltsamer Ort, wie aus einer anderen Zeit. Alles ist so alt. Dad sprach mit ihm, also mit Adrian. Ich weiß nicht mehr, über was, nur dass Adrian mir Angst machte.«
    »Ich mag seine Augen nicht«, sage ich. »Er sieht aus, als würde er alles bekommen, was er sich in den Kopf gesetzt hat.«
    Sean lächelt gequält. »Die Meister haben das Unmögliche möglich gemacht. Sie schaffen Leben. Aber Dad sagte einmal, Adrian wolle mehr. Seit er weiß, wie man Leben schafft, sucht er angeblich nach einem Mittel, es zu verlängern. Er experimentiert ohne Ende. Es kursieren Gerüchte …« Sean stockt. »Über Dinge, die er macht. Grabräuberei und seltsame Tests an Echos.«
    »Woher weißt du das?«, frage ich.
    »Hauptsächlich von Dad und Erik, außerdem aus dem Archiv der Meisterei. Einige Gerüchte, wie die von der Grabräuberei, haben es sogar bis in die Nachrichten geschafft. Letzte Woche war davon die Rede, aber man konnte nichts beweisen.«
    Ich zeige auf den Bildschirm. »Warum gibt er ein Interview?«
    Sean zuckt mit den Schultern. »Um den Schein zu wahren. Früher, vor unserer Geburt, konnte die Meisterei noch völlig ungestört im Verborgenen arbeiten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Jetzt geben die Meister jedes Jahr Interviews, damit die Leute sie für ganz normale, ehrbare und vertrauenswürdige Leute halten und die grausigen Gerüchte vergessen.«
    Ich verfolge das Gespräch im Fernsehen weiter. Die Moderatorin wirkt nervös. Sicher ist Adrian ihr auch nicht geheuer.
    »Aber Sie müssen doch zugeben«, ereifert sie sich, »dass diese Heimlichtuerei ein Problem ist. Glauben Sie nicht, Echos wären weniger umstritten, wenn Sie öffentlich darlegen würden, wie Sie sie erschaffen? Das käme auch den Echos zugute.«
    »Ich arbeite nicht für den Seelenfrieden der anderen«, erwidert Adrian Borden. Seine Stimme ist imposant. Weich und vollkommen beherrscht. »Sondern aus Ehrfurcht davor, Leben aus dem Nichts schaffen zu können.«
    »Aber …«
    »Echos existieren nicht zu ihrem Vergnügen. Sie sind dazu bestimmt, jemand anderes zu sein. Als eigenständige Persönlichkeiten interessieren sie mich

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